Das große Sterben

von Redaktion

Eine rätselhafte Epidemie dezimierte Lenggries um 1699

Große Hitze, Brennen, Krämpfe („Frais“) und Verstopfung – vor 322 Jahren bedrohte eine unerklärliche Epidemie die Einwohner von Lenggries. Die Menschen starben zuhauf – insgesamt 93 Tote zählte der Pfarrer binnen eines halben Jahres. Eine Katastrophe für einen Ort, der damals vielleicht 1200 Einwohner hatte. Niedergeschrieben wurde die schreckliche Todesserie in Kirchenbüchern, bündig zusammengefasst hat das sehr viel später der Lenggrieser Pfarrer und Heimatforscher Stephan Glonner (1828-1901) im Jahr 1867.

Die handgeschriebene Chronik, Eigentum des Historischen Vereins für das bayerische Oberland, wird im Stadtarchiv Bad Tölz aufbewahrt. 2016 haben sie 15 ehrenamtliche Helfer des Burgvereins Hohenburg transkribiert und digitalisiert. „Ein schönes Beispiel dafür, dass man große Projekte stemmen kann, wenn man sich zusammentut“, wie Jost Gudelius aus der Jachenau betont. Er hat sich aus der viele hundert Seiten langen Chronik ein besonderes Ereignis herausgepickt: die Beschreibung der seltsamen Epidemie im Jahr 1699.

Im Februar dieses Jahres muss es losgegangen sein. Am 23. Februar berichtete der Graf Ferdinand Josef von Herwart, dass in „Lengrieß“ viele Leute krank seien und nur zwei Bader sich um sie kümmern könnten. Ein Dr. Staudigl und ein Badergeselle wurden nach Tölz beordert, aber die Leute hatten „kein Zutrauen“ und fürchteten nur die Kosten: für den Doktor täglich 5 Gulden, für den Gesellen 2, das Pferd extra noch mal 2, für die Zeche 3 Gulden und überdies wären auch noch die Reisekosten zu zahlen. Daher erging die Bitte, doch den Bader wieder abzuberufen – was im März auch geschah.

Das große Sterben ging jedoch weiter. In ihrer Not verfielen die Leute auf allerlei Zaubermittel. Graf Herwart riet, Angelica-Wurzeln und Zitronen in den Mund zu nehmen und mahnte zum festen Vertrauen auf Gott und zur Buße. Anna von Herwart, Schwester des Grafen, riet, vor den Häusern Feuer zu machen und schickte verschiedene Arzneimittel.

Elias Khaiser, Pfarrvikar in Lenggries, ermahnte in der Predigt zur Buße und forderte die Gemeinde im April auf, Hand an die Erweiterung des Friedhofs zu legen. Er hielt auch eine Prozession auf dem Friedhof ab und nahm Spenden entgegen.

Vom Fastengebot war die Gemeinde in diesem Horrorjahr befreit, doch gelobte die Gemeinde, fortan zu Ehren des Heiligen Sebastian am 20. Januar jeden Jahres bei Wasser und Brot zu fasten – der Brauch hat sich bis heute gehalten. Dennoch ließ sich das Sterben nicht aufhalten. Vom 5. März bis 30. Mai erkrankten 224 Personen, von ihnen starben 41. Das Sterbebuch enthält vom 19. Februar bis 28. August 93 Todesfälle.

In der Chronik ist auch aufgelistet, welche Gesamtausgaben die Gemeinde durch die rätselhafte Epidemie zu schultern hatte: 625 Gulden und 45 Kreuzer, davon allein 224,11 Gulden für Medikamente, die bis aus München und Tegernsee herangeschafft wurden. Dafür gab es einen Steuernachlass durch die Hohenburger Gutsherrschaft.

Eines konnte der Ortsforscher Jost Gudelius bis heute nicht klären: Welche Krankheit war eigentlich ausgebrochen? „Das ist den Quellen nicht zu entnehmen“, sagt er. Doch waren rätselhafte Seuchen nicht so selten – nicht weit entfernt, in der Jachenau, starben 1757 innerhalb von 50 Tagen 13 Personen, ohne dass geklärt wurde, was die Ursache war.

DIRK WALTER

Die Chronik

kann nachgelesen werden unter www.hohenburg-lenggries.de (Rubrik: beliebt)

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