Eisenbahn, Kraftwerk, Virus: Die Flößerei ist immer wieder bedroht

von Redaktion

HISTORISCHER ÜBERBLICK

Seit über 900 Jahren schwimmen bereits Flöße in Richtung München. Laut Stadtarchivar Simon Kalleder stammen die ersten Belege für die Flößerei in Wolfratshausen aus dem 12. Jahrhundert. Diese seien aber „ein wenig unklar“. Ab dem Mittelalter gebe es dann vermehrt schriftliche Belege. „Für Wolfratshausen spielte die Flößerei langfristig eine sehr große Rolle“, sagt er. Es sei stark zu vermuten, dass der Markt Wolfratshausen sich direkt an den Flüssen, der Loisach und der Isar, wegen der Flößerei entwickelt habe. „Die Burg Wolfratshausen hat sich dank der Flößer entwickelt“ sagt Kalleder.

Damals wurden Flößer für den Warentransport genutzt, zum Beispiel für Möbel, Kalk, Steine oder Bau- und Brennholz. Aber auch für den Transport von Tieren und Lebensmitteln wie etwa Getreide, Käse oder Bier eignete sich die Flößerei. „Zur Hochzeit zwischen 1848 und 1859 fuhren jährlich bis zu 5000 Flößer über Loisach und Isar“, sagt Kalleder. Mit dem Aufkommen des Eisenbahnverkehrs in den 1890ern, im Wolfratshausener Fall vor allem der Isartalbahn, fand die Transportflößerei laut dem Archivar ihren Niedergang. Der Warenverkehr wechselte von den Flüssen auf die Schienen.

Gleichzeitig wuchs die Nachfrage für Personentransport auf den Flößen. Der Vergnügungsverkehr war geboren: „Ich vermute, dass die Münchner mit der Bahn für Wochenendausflüge nach Wolfratshausen fuhren, dort Flößer vorbeifahren sahen und spontan beschlossen, auf diesem Weg zurückzufahren“, erzählt Kalleder. Mit den sogenannten Ordinari-Flößern war eine Fahrt sogar bis nach Wien möglich. „Das kann man sich vorstellen wie einen Linienbus, nur eben auf dem Wasser und nicht täglich“, erklärt der Stadtarchivar. Die Flößerei hatte damit eine neue Aufgabe und wurde vom Waren- zum Tourismusgeschäft.

Die nächste große Bewährungsprobe für die Flößerei wartete in den 1920er-Jahren. „Dank des Walchenseekraftwerkes wäre die Flößerei fast gestorben“, sagt Kalleder. Die Kraftwerksbetreiber hätten die Floßrechte zum Befahren mit Entschädigungszahlungen ablösen wollen. Durch den Bau wäre nämlich der Wasserstand für Flöße zu niedrig geworden, um darüber zu schwimmen. Doch die Flößer stritten so lange vor Gericht, bis die Kraftwerke Floßrutschen einbauten, dank derer die Flößerei aufrechterhalten werden konnte. Heute sind diese Rutschen eine besondere Attraktion bei den Floßfahrten, da die Flößer an diesen Stellen besonders schnell fahren und das Wasser durch die Gegend spritzt. 100 Jahre später gibt es eine neue Bedrohung: Corona. RAFFAEL SCHERER

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