Stadtpfarrer: „Ich bin wütend“

von Redaktion

Der Appell der Politik an die Kirchen, Gottesdienste zu Ostern nur virtuell anzubieten, stößt in den Pfarrgemeinden auf Unverständnis. Der Starnberger Stadtpfarrer Andreas Jall ist fassungslos.

Was sagen Sie zu dem Appell der Politik, Ostergottesdienste ohne Gottesdienstbesucher zu feiern?

Ich bin wirklich geschockt. Vor allem, wie das Ganze gelaufen ist. Das war schon sehr hart. Die Betroffenen über die Medien zu informieren – da fehlen mir die Worte. Wir haben gerade das Gespräch mit den Kollegen im Dekanat gehabt – das Bild ist einstimmig: Bestürzung, Wut, dass man uns das wieder antut, anstatt durch eine vorausschauende Planung die Leute darauf vorzubereiten. Fahren auf Sicht kann ich noch nachvollziehen in der Pandemiezeit. Aber das ist kein planvolles Vorgehen. Das sind Hauruck-Entscheidungen. Niemand weiß so recht, wohin es gehen soll.

Können Sie sich vorstellen, dass es trotz des Appells aus der Politik Präsenzgottesdienste geben kann?

Wir sind darauf angewiesen, wie die Bischöfe sich zu dem Ganzen verhalten. Die waren ja genauso überfahren wie wir alle.

Die Bischöfe stehen unter Druck: Beim ersten Lockdown gab es Kritik, dass sie vorschnell die Gottesdienste für Gläubige ausgesetzt haben.

Natürlich! Ich muss so schauen, dass ich meine eigenen Leute ein bisserl zusammenhalte. Uns erodiert der ganze Laden! Zu erwarten, dass die Kirchen ihren Beitrag leisten zu den Themen Solidarität, Vertrauen schaffen, Hoffnung stiften – und dann solche Entscheidungen. Tut mir leid: Glauben ist keine digitale Sache. Das ist ein Geschehen von Angesicht zu Angesicht. Wir Menschen sind keine digitalen Wesen. Wir sind Fleisch und Blut. Und Glaube geschieht auch nur in Fleisch und Blut. Oder er geht nicht. Das vergangene Osterfest war katastrophal! Die Menschen liefen in der Kirche herum wie aufgescheuchte Hühner. Da war ja die Unwissenheit noch größer, man kannte dieses Virus nicht. Jetzt haben wir Hygienekonzepte, die uns selber schon Kritik bringen. Die Leute sagen: Ich gehe in die Kirche und habe da schärfere Regeln als wenn ich ins Krankenhaus gehen würde. Wir hatten hier in Starnberg keinen einzigen Corona-Fall, der durch einen Gottesdienst ausgelöst wurde.

Wie war das denn Weihnachten?

Das war genauso katastrophal! Wir haben uns drei Monate darauf vorbereitet. Und dann kam wieder so eine Hauruck-Aktion ohne Plan. Mir fehlt langsam der Glauben an eine planvolle Regierung. Ich verstehe, dass man in Pandemie-Zeiten erst keinen Plan hat. Aber inzwischen kennen wir das Virus und wir kennen auch die Regeln, die dagegen helfen. Und dann jetzt den Menschen den letzten Raum zu nehmen, wo man noch Hoffnung schöpfen kann – tut mir leid, im Supermarkt kann ich keine Hoffnung schaffen. Die normalen Wege, auf denen Menschen Hoffnung schöpfen – durch Urlaub, durch Freizeit, durch Familienfeiern – sind ihnen ja genommen. Ja, was will ich mit den Menschen noch machen? Menschen sind doch keine Haustiere, die man einsperren kann!

Wie hatten Sie sich auf Ostern vorbereitet?

Wir haben unsere sehr strengen Regeln noch mal enger gefasst. Begrüßungsteams schauen sich die Besucher an. Hustende Menschen werden nach Hause geschickt. Wir kontrollieren engmaschig – und beim Discounter läuft jeder rein, egal ob er schnieft oder hustet. Was sollen wir denn noch tun? Wir halten den Abstand ein, Haushalte werden voneinander getrennt, haben Ordner, die während der Messe die Menschen darauf hinweisen, wenn sie zu eng sitzen. Wir haben die Ministranten – und das tut mir besonders weh – de facto abgeschafft. Damit keine Bewegung mehr im Gottesdienst stattfindet. Es sind eh schon Gottesdienste, die an Dürre kaum mehr zu überbieten sind. Es sind nur noch Skelette übrig von dem, was Ostern zu feiern bedeutet. Und das noch zu nehmen – da bin ich einfach nur fassungslos, unglaublich enttäuscht, traurig und wütend.

Haben Sie schon Reaktionen von Gläubigen?

Mein Mail-Postfach ist voll: Ich soll zum zivilen kirchlichen Ungehorsam aufrufen. Die Leute sind total aufgebracht. Es ist zum Heulen. Wenn man uns zum Beginn der Fastenzeit gesagt hätte: Leute, es kommt die dritte Welle, wir haben keinen Impfstoff, bereitet Euch darauf vor – dann hätte ich es noch verstehen können. Aber so ein planloses Vorgehen: Wenn ich so eine Pfarrei führen würde, und eine Woche vor der Kinderkommunion die Feier absagen würde, dann wäre ich hier weg und das mit Recht.

Interview: Claudia Möllers

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