Am Anfang war das Faxgerät

von Redaktion

In den 1980er-Jahren begann der Siegeszug des Telefax – eine analoge Revolution, die auch in Zeiten der digitalen Kommunikation nicht totzukriegen ist. Ein Urvater der Technik ist der Bayer Rudolf Hell.

VON MAXIMILIAN HEIM

München/Aschaffenburg – Faxgeräte sprechen nicht, sie piepsen allenfalls. Deshalb können sie auch nicht vermelden, wie es sich anfühlt, demnächst aus dem Weg geräumt zu werden. Denn die Menschen, die sie erschaffen haben, wollen sie nicht länger haben. Nicht mehr zeitgemäß, so lautet das vernichtende Urteil.

Die Ehre der Faxgeräte verteidigen wenige, zum Beispiel der pensionierte Apotheker Werner Henke, Jahrgang 1957, aus Aschaffenburg in Unterfranken. Henke liebt Technik, über Faxgeräte kann er stundenlang Auskunft geben. Wegen Corona findet das Gespräch am Telefon statt und leider nicht inmitten seiner offenkundig fantastischen Technik-Sammlung. „Schön, dass Sie sich für vermeintlich gestrige Kommunikationswege interessieren“, sagt Henke – und hängen bleibt natürlich das Wörtchen „vermeintlich“.

Dann sprudelt er los, wie nur Menschen lossprudeln, die von einer Sache wirklich was verstehen. Als Apotheker hat sich Henke 1988 selbstständig gemacht, erzählt er, und just in jenem Jahr war er auch auf der Hannover-Messe. Was dort passierte, muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein: Henke sah ein „Panafax UF-150“, Kosten über 1000 Deutsche Mark. „Das war ein kleines und kompaktes Gerät“, erzählt Henke, der das kleine und kompakte Gerät sofort kaufte. „Es passte ideal hinten in der Ecke neben den Tisch, genau dorthin also, wo die Kommunikation stattfand.“

Die Kommunikation, das hieß in Henkes Apotheke vor allem: die Großbestellungen von Medikamenten und anderen Produkten. „Per Brief war das ziemlich zeitaufwendig“, sagt er, „die komplizierte Briefsprache, das Abtippen per Schreibmaschine, das Kuvertieren, der Laufweg zum Briefkasten“. Per Fax ging alles schneller und günstiger. „Am nächsten Tag hatte ich die Ware. Wer noch auf dem Postweg bestellt hat, bei dem dauerte es Tage.“

Das Fax wurde also Avantgarde, und zwar ab Ende der 1980er-Jahre nicht nur in der Aschaffenburger Apotheken-Szene, sondern in ganz Deutschland. Gab es 1986 noch lediglich 25 000 Telefax-Anschlüsse in der Bundesrepublik, waren es im Jahr 1993 schon deutlich über eine Million. Bis heute wird fleißig gefaxt zwischen Ostsee und Alpen: Noch im Jahr 2018 nutzten zwei Drittel der deutschen Unternehmen das Fax sehr häufig oder häufig.

Maßgeblich vorangetrieben hat die Fax-Technik ein gebürtiger Bayer: Rudolf Hell, 1901 in der Oberpfalz geboren, Pionier auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik, Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern. Hells Erfindungen füllen lange Listen, am Ende seines gut 100-jährigen Lebens hatte er 131 Patente angemeldet. Schon das Thema seiner in München abgelegten Promotion hat es in sich: Hell konstruierte Ende der 1920er-Jahre ein „direktanzeigendes Funkpeilgerät für die Luftfahrt“ – später Standard in Flugzeugen.

Im Jahr 1956 entwickelte Hell, inzwischen in Kiel ansässig, das nach ihm benannte „Hell-Fax KF108“. Für die Übertragung einer A5-Seite benötigte es rund drei Minuten. Laut Experten war es das erste wirklich brauchbare Faxgerät der Welt, verwendbar mit normalem Schreibpapier. „Mia san Telefax“, hätten die Münchner Zeitungen titeln können, voll bayerischem Stolz. Dass es diese Schlagzeile nicht gab, könnte auch darauf hindeuten, dass die Wucht von Hells Entwicklung Mitte der 1950er-Jahre nur den wenigsten klar war.

Werner Henke besitzt als Sammler insgesamt sieben „Hell-Fax KF108“, von denen ein einziges Exemplar rund 17 Kilogramm wiegt. Aus Platzgründen hat er sie alle in einem Lagerkeller verstaut. Und auch hier hat Henke eine schöne Anekdote parat. „Wenn man einen solchen KF108 Mitte der Fünfziger Jahre das erste Mal gekauft hat, war ein Micky-Maus-Bild beigelegt“, erzählt er. „Dann konnte man gleich testen, ob das Faxgerät auch funktionierte und das Motiv beim Empfänger ankam.“

Noch immer versendet Henke jede Woche ein paar Faxe – „persönlicher als eine Mail“, sagt er. Schreibt er an Behörden oder kündigt er eine Versicherung, schickt er ebenfalls ein Fax. „Da kann sich der Empfänger nicht herausreden, er habe nichts erhalten“, sagt Henke, der natürlich auch mit Mails umzugehen weiß. Menschen wie ihn findet man nur über Umwege: Seit einem halben Jahr hat er ein Anliegen auf einer Online-Plattform für Kleinanzeigen. „Ich suche das Kundendiensthandbuch für den Fernkopierer Post AF33“, inseriert Henke, „erschienen ca. im Jahr 1989, gerne auch als Kopie des Originals“.

Das alles ist lange her, das Jahr 1989, das Jahr 1956, die gute alte Bundesrepublik. Im Hier und Jetzt soll es den verbliebenen Faxgeräten an den Kragen gehen. Laute Fax-Kritiker gibt es zuhauf – etwa den Beamtenbund, den Richterbund, Grüne und FDP. Dass Gesundheitsämter in der Corona-Pandemie teils weiter auf das Faxgerät setzen (mussten), gilt vielen als Beweis für die schneckengleiche Digitalisierung in Deutschland.

Unlängst beschloss der Ältestenrat des Bundestags, bis zum Jahr 2024 alle Faxgeräte aus dem Hohen Haus zu verbannen, insgesamt 1600 Stück. Vielleicht schaffen es ein paar ins Haus der Geschichte oder in die Privatsammlung technikbegeisterter Abgeordneter; die meisten Geräte dürften freilich auf einem Berliner Recyclinghof landen.

Das wäre ein schroffes Ende für eine Kommunikationsform, die in vielen Behörden weiter dazugehört. Beispiel Justiz: Noch immer wird viel gefaxt zwischen Gerichten, Staatsanwaltschaften, Anwälten, Sachverständigen und Gefängnissen. Anruf also bei Adelinde Gessert-Pohle, Direktorin des Amtsgerichts Wolfratshausen. Sie sagt: „Ich persönlich empfinde das Fax als veraltete Technik, es wird auf Dauer ersetzt werden müssen.“ Wegen technischer Änderungen bei den Übertragungswegen sei das Faxen nicht mehr immer zuverlässig. Gessert-Pohle sagt aber auch: „Im Moment ist das Fax aus Sicht der Justizmitarbeiter wohl noch nicht wegzudenken.“

Sie verweist auf „brandeilige Fälle“, die außerhalb der regulären Dienstzeit entschieden werden müssen. Schwerpunkt: freiheitsentziehende Maßnahmen. „Wenn etwa ein Patient in einer Psychose andere oder sich selbst gefährdet, schickt uns die Klinik ein Fax, zum Beispiel mit einem Antrag auf Genehmigung einer Fixierung“, erläutert Gessert-Pohle. „Die Richterin oder der Richter führt dann die notwendigen Ermittlungen durch – und schickt die Entscheidung erneut per Fax zurück an die Klinik.“ Für diese Prozedur sei das Faxgerät „im Moment immer noch unverzichtbar“, weil es keine sichere und verschlüsselte digitale Alternative gebe.

Schnell, abhörsicher, praktisch: Tatsächlich werden Faxgeräte, nach allem, was man weiß, sehr viel seltener gehackt als Computer. Wie das Telefax funktioniert, verrät die korrekte Bezeichnung Telefaksimile. Dabei wird ein Dokument in Bildpunkte und Linien zerlegt, dann über die Telefonleitung an ein anderes Faxgerät geschickt, wo es wieder zusammengesetzt und ausgedruckt wird. Längst gibt es auch E-Faxe, bei denen der Faxvorgang ins Mail-Programm auf dem Computer integriert ist. (Bevor der Bundesverband Deutscher Fax-Liebhaber jetzt zu empörten Leserbriefen ansetzt: Dieser Absatz ist wirklich die absolute, laienhafte Kurzversion.)

Aber klar ist: Es sieht nicht gut aus für das Faxgerät. Zarte Hoffnung ziehen können seine Liebhaber aus dem „Riepl’schen Gesetz“: Es besagt, dass kein etabliertes Instrument des Informationsaustauschs durch das Hinzukommen neuer Instrumente vollständig ersetzt wird. Aber selbst Werner Henke ist kein Mann kühner Illusionen. Ob das Faxgerät in zehn Jahren noch irgendeine Rolle spielt? „Wahrscheinlich nicht“, sagt er, „obwohl diese Technik durchaus ihre Vorteile gegenüber E-Mails hat.“

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