München – „Wie viel darf’s denn sein?“ – als beim Einkaufen die Ware noch Stück für Stück abgewogen wurde, war das die Standardfrage an die werte Kundschaft. Die deutschen Katholiken diskutieren seit einem guten Jahr im „Synodalen Weg“ Reformen in ihrer Kirche, ein Hauptthema ist der Umgang mit Macht. Der Wunsch nach mehr Beteiligung, wie man sie aus einem demokratischen Gemeinwesen gewohnt ist, lässt sich nicht überhören. Aber selbst bei Reformwilligen gibt es Zweifel, wie weit das gehen sollte.
Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern nahm sich am Samstag bei seiner digitalen Frühjahrsvollversammlung viel Zeit für die Debatte – und verschob dann die Abstimmung über ein vorformuliertes Positionspapier. Es gibt noch weiteren Beratungsbedarf.
Die Freiburger Theologin Ursula Nothelle-Wildfeuer betonte, die Forderung nach mehr Partizipation folge nicht einer „billigen Anpassung an den Zeitgeist“, sondern sei Ausdruck dessen, „dass die Kirche ihrem eigenen Menschenbild folgt“. Echte Partizipation aber sei nicht möglich, solange die Kirche als „Zwei-Stände-Gesellschaft“ verstanden werde. Die Kirche könne und müsse von der Welt lernen, wie etwa Macht klug kontrolliert und geteilt werde. Der Jesuit Bernd Hagenkord, einer der beiden Geistlichen Begleiter des „Synodalen Wegs“, wandte sich gegen Stimmen, dieser Prozess sei nicht geistlich, mithin nicht fromm genug. Orte des Geistlichen seien nicht nur Gebete und Gottesdienste, sondern auch Debatte und demokratische Methoden. „Über Wahrheiten kann man nicht abstimmen“, lautet ein Vorbehalt gegen Mehrheitsentscheidungen in der Kirche. Hagenkord sagte dazu, auch die einsame Entscheidung eines Bischofs im stillen Kämmerlein könne ungeistlich sein.
Es war ausgerechnet ein Politiker, der Wasser in den Wein goss: Als mündiger Christ habe er Probleme, wenn in seiner Kirche Frauen und Männer nicht gleichberechtigt seien, sagte Manfred Weber, EVP-Chef im EU-Parlament. Aber Demokratie heiße auch Profilierung und Wettbewerb. Wo sei da die Grenze, vor allem in Glaubensfragen? Und wie könnte die Kirche Systemprobleme der Demokratie wie Populismus vermeiden?
Der Münchner Kardinal Reinhard Marx machte klar, dass es nicht darum gehen könne, die Prozeduren der Demokratie schlicht zu kopieren. Er sei auch nicht dafür, die Strukturen der Kirche „auf den Kopf zu stellen“. Als internationale Glaubensgemeinschaft habe sie indes „noch nicht den Level gefunden“, Einheit und Vielfalt in rechter Weise miteinander zu verbinden. Mahnend zeigte Marx in Richtung anglikanischer und evangelikaler Kirchen. Dort hätten Kontroversen über Reizthemen wie Homosexualität zur Spaltung geführt. Andererseits sei es für viele Katholiken eine Zumutung, „dass hier ein Sekretariat in Rom existiert, das weiß, was Gott will“, sagte Marx unter Anspielung auf die ablehnende Stellungnahme der Glaubenskongregation zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare.
Bei strittigen Themen wäre es ihm deutlich lieber, vor solchen lehramtlichen Positionierungen erst einen Kongress auszurichten und dazu Stimmen aus aller Welt zu hören. Dabei dürfe man aber in Deutschland nicht dem Missverständnis verfallen, dass die eigene Mehrheitsmeinung auch mehrheitlich in der Welt geteilt werde. Marx konnte das Dilemma letztlich nicht auflösen. „Ich weiß auch nicht, wie die Regeln aussehen müssen, dass wir zusammenbleiben“, sagte er. „Ich hoffe da auch auf den Heiligen Geist.“