Dachau – Ein kleines Mädchen steht mit seiner Ziege auf einer Wiese, umgeben von Bäumen und Büschen, in denen sich Licht und Schatten spiegeln. Das Kind, in einfacher Tracht mit dem für die Niederlande typischen weißen Käppchen gekleidet, ist völlig vertieft in das Füttern des Tieres. Die Ruhe und die Idylle, die die beiden dabei ausstrahlen, fesseln den Blick sofort. Die Münchnerin Muriel Hagmann und ihre Schwägerin Josepha Hetzner betrachten das Gemälde noch einmal kritisch, als sie es aus der weichen Decke wickeln, in der sie es ins Schloss Dachau transportiert haben. „Mein Ururopa hat es gekauft“, erzählt Muriel Hagmann, „und es dann seiner Tochter geschenkt.“ Die wiederum vererbte es an Muriels Oma, und die gab es weiter an ihre vier Enkel. „Nun hängt es in meinem Zimmer. Eigentlich, weil ich es früher so geliebt habe. Aber jetzt…“ Die Fünfzehnjährige zögert kurz. „Jetzt scheint es mir ganz schön düster.“
Über die Generationen hatten sich eine Menge Gerüchte um das Bild gerankt, verrät Josepha Hetzner: „Die Wertspekulation wurde immer wilder. Bis die Oma den Vorschlag machte, es bei Kunst + Krempel mal konkret schätzen zu lassen.“ Aufgeregt, ihr Bild nun im Fernsehen zu zeigen, sei sie nicht, behauptet Muriel. „Ich kannte diese Sendung vorher nicht einmal.“ Ihre Schwägerin lacht. „Ich schon und eine Menge meiner Bekannten auch. Ich bin jedenfalls gespannt.“
Nach einem Corona-Schnelltest dürfen die Münchnerinnen samt ihrem Gemälde in den ersten Stock des Schlosses, wo der beeindruckende Festsaal mit seiner kunstvollen Holzdecke, den imposanten Kronleuchtern und dem herrlichen Blick in den Schlosspark als ideale Kulisse der aktuellen Staffel von „Kunst + Krempel“ dient. Rund 1000 Kunstbesitzer hatten sich als Kandidaten beworben, um in Dachau ihre Möbel, Gemälde, Designstücke oder religiöse Volkskunstschätze bewerten zu lassen, erzählt Sabine von Poschinger, die Kunstfachfrau, die für den BR die Vorauswahl trifft. Drei Tage wird gedreht, im Viertelstundentakt präsentieren Menschen ihre Schätze.
Der Ablauf zu Corona-Zeiten ist anders als sonst: „Normalerweise laden wir eine ganze Menge der Bewerber ein und lassen die Experten vor Ort entscheiden, welche Kunstwerke es tatsächlich vor die Kamera schaffen.“ Das ist derzeit nicht möglich, und so musste Sabine von Poschinger allein auf Grund von Fotos entscheiden, wer nach Dachau kommen durfte. Kriterium ist dabei keineswegs nur der vermutete Wert eines Objekts: Schöne Geschichten sollten dahinterstecken, die Art der präsentierten Gegenstände möglichst variieren, es soll die Vielfalt gezeigt werden, die in bayerischen Haushalten zu finden ist.
„Außerdem steht bei uns nicht der monetäre Umsatz im Fokus, sondern der kulturhistorische Hintergrund.“ Die Sendung heißt schließlich nicht umsonst „Kunst + Krempel“ – und das seit über 35 Jahren: Von einem Gemälde von Eduard Gaertner, das 500 000 Euro wert war, über ein Glasbügeleisen aus dem Jahr 1000 nach Christus, dessen Wert mangels Vergleichen buchstäblich als unschätzbar galt, bis hin zu billigem Krempel war schon alles dabei. „Wobei man sich auch da täuschen kann“, erzählt von Poschinger lachend. Am Vortag zum Beispiel hatte ein Herr zwei Stühle vom Daglfinger Flohmarkt dabei – gekauft für zehn Euro das Stück. Die Sensation: Der Wert war glatt eintausendmal so hoch.
Mit solch einer Wertsteigerung werden die zwei Münchnerinnen von dem Kunsthistoriker Professor Dr. Hans Ottomeyer und dem Sachverständigen Dr. Herbert Giese nicht beglückt. Doch nach einem kurzen Vorgespräch zeigen sich die zwei Herren, die nicht nur durch ihr Fachwissen beeindrucken, sondern vor allem durch ihre unterhaltsame Eloquenz, mit der sie ohne jegliches Skript mit den Gästen und über deren Kunstwerke plaudern, durchaus angetan von dem Mädchen mit der Ziege. Der Holländer Frits Jansen, ein Maler der Jahrhundertwende, habe in seinen Bildern vor allem mit Schatten und Licht gespielt, um eine besondere Atmosphäre zu erzeugen, erklären sie und verblüffen mit noch mehr Details: „Dieses Gemälde hier spiegelt exakt die Stimmung eines Tages im Juli um 11 Uhr vormittags.“
5000 bis 8000 Euro ist das Kunstwerk wert – weniger als manches Familienmitglied erhofft hatte. Muriel Hagmann trägt es trotzdem zufrieden durch das Gewirr von Kabeln, Kameras und Monitoren zurück, das für solche Fernsehaufzeichnungen notwendig ist und in herrlichem Kontrast zu dem barocken Festsaal des Schlosses stehen. „Mit der Summe hatte ich ungefähr gerechnet“, fasst sie ihre Erfahrung bei „Kunst + Krempel“ zusammen. „Aber für mich war spannend, was ich sonst alles über dieses Bild erfahren habe.“ Sie runzelt kurz die Stirn. Ob sie das Gemälde nun behalten werde oder nicht, will sie noch mit ihren Brüdern überlegen. „Mit dieser Hintergrundgeschichte sehe ich es jedenfalls noch einmal in ganz anderem Licht. Buchstäblich.“
Die Sendung
wird am heutigen Samstag um 19.30 Uhr im BR Fernsehen gezeigt. Die Anmeldefrist für die nächste Aufzeichnungsreihe läuft noch bis 3. Mai.