München – Mit Erleichterung haben Vertreter der von Missbrauch in der katholischen Kirche Betroffenen auf die Entscheidung des Münchner Kardinals Reinhard Marx reagiert, auf das Bundesverdienstkreuz zu verzichten. „Es zeigt, dass auch hohe Fürsten endlich mal einen Blick auf die Betroffenen werfen“, teilte Peter Bringmann-Henselder mit, der als Mitglied des Kölner Betroffenenbeirats Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aufgerufen hatte, die Auszeichnung nicht vorzunehmen.
Kardinal Marx war schnell klar, dass diese Ehrung großen Schaden anrichten könnte. Als der Protest sich ausweitete, bat er am Dienstag den Bundespräsidenten, auf die Auszeichnung zu verzichten. Marx hatte mit der Rücksicht auf die Betroffenen argumentiert, die Anstoß nähmen an der geplanten Ehrung. Zudem wollte er dem Amt des Bundespräsidenten keinen Schaden zufügen. Professor Hans Tremmel, Vorsitzender des Diözesanrats der Katholiken, begrüßt die Reaktion. „Es ist gut und richtig, dass Kardinal Marx auf diese Weise etwas Dampf aus dem Kessel lässt, damit die momentan ohnehin sehr angeheizte Stimmung nicht noch zusätzlich befeuert wird und noch mehr Druck entsteht.“ Es gehe nicht in erster Linie um Recht haben oder Recht bekommen, sondern um einen möglichst sensiblen und rücksichtsvollen Umgang mit Menschen, die durch Vertreter der Kirche schweres Leid erfahren haben. „Dies ist schließlich auch der Ausgangspunkt des Synodalen Weges, den wir nun gemeinsam mit den Betroffenen weiter gehen wollen.“
Betroffenenvertreter hatten kritisiert, dass die Rolle von Marx in Missbrauchsfällen im Bistum Trier – dort war er von 2002 bis 2008 Bischof – und auch im Erzbistum München und Freising nach wie vor nicht endgültig aufgeklärt sei. Marx selbst hatte 2019 erklärt, dass er bei einem Fall von sexuellem Missbrauch in Trier Fehler gemacht habe – dass er heute anders handeln würde und dass ihn das Versäumnis bis heute plage. Gestern erklärten auch der heutige Bischof von Trier, Stephan Ackermann, und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, in diesem Fall wegen Pflichtverletzungen Verantwortung übernehmen zu wollen. Bätzing war damals Generalvikar in Trier. Nach Darstellung der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ bekam Marx als Bischof von Trier 2006 „starke Hinweise“, dass der betreffende Geistliche ein Missbrauchstäter sein könnte. Marx sei aber untätig geblieben. Der Pfarrer habe jahrelang unbehelligt Kontakt zu Minderjährigen pflegen und mit ihnen Urlaub machen können. Achtmal sei er in 15 Jahren wegen Missbrauchs angezeigt worden, ohne dass er aus dem Verkehr gezogen worden wäre. Akten der staatsanwaltlichen Ermittlungen, die nur wegen knapp eingetretener Verjährung eingestellt wurden, seien vom Bistum nicht angefordert worden.
München war 2010 die erste Diözese, die ein Gutachten über Missbrauch erstellen ließ. Allerdings wurde es nie komplett veröffentlicht – mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte von Opfern und Tätern. Derzeit arbeitet die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl an einem zweiten Gutachten, in dem auch Namen von Verantwortlichen genannt werden sollen, die vertuscht haben. Die Befragungen von früheren Verantwortlichen laufen. Dazu soll auch der emeritierte Papst Benedikt XVI. gehören, in dessen Amtszeit als Münchner Erzbischof der Fall des Pfarrers H. fiel. H. war, nachdem er Kinder missbraucht hatte, zur Therapie vom Bistum Essen nach München geschickt worden. Bis 2008 wurde er aber dort trotz weiterer Taten in Pfarrgemeinden eingesetzt. Die Veröffentlichung des neuen Gutachtens wird sich Informationen zufolge bis zum Herbst hinziehen. Man rechnet damit, dass sich Verantwortliche mit juristischen Mitteln gegen eine Veröffentlichung wehren werden. cm/kna