Als Anni Endres geboren wurde gab es noch kein Nylon, keine Kugelschreiber und keine Autobahnen auf der Welt. Die 100-Jährige aus Bad Kohlgrub (Kreis Garmisch-Partenkirchen) hat in ihrem Leben einiges überlebt: einen Weltkrieg, eine Lawine, fast jeden ihres Jahrgangs 1921. Kein Wunder, dass sie viel zu erzählen hat. Denn erinnern kann sie sich sowieso an alles. So saß Bürgermeister Franz Degele fast zwei Stunden bei ihr, als er ihr zum 100. Geburstag die besten Wünsche der Gemeinde überbrachte. „Den Franz“ kannte Anni Endres ja schließlich schon als kleinen Bub. Wenn die Jungen im Ort früher nicht wussten, wo sie abends hinsollten, sagte früher oder später einer: „Ach, beim Endres gibt’s immer Kaffee und Nudeln.“ Heute bekommen die Gäste bei Anni Endres eher Schokolade. Denn die ist neben Obst und Gemüse eine der drei Zutaten für ein langes, gesundes Leben, verrät die 100-Jährige schmunzelnd. Ihre Augen strahlen, wenn sie das sagt – auch wenn sie nicht mehr sehen kann. Natürlich braucht es auch ein bisschen Glück, um so alt werden zu dürfen wie Anni Endres. Mit den Geschichten, die sie aus ihrem Leben erzählen könnte (inklusive Jahreszahlen und Orte) könnte man ganze Bücher füllen. „Wenn man dir zuhört, meint man, du wirst 220“, sagt ihre Tochter Ulrike. In Bad Kohlgrub ist sie eine Institution – auch, weil sie Mitglied in vielen Vereinen ist. Zum Beispiel bei den Veteranen, als einzige Frau. Bei der Musik, beim Frauenbund, beim Skiclub sowieso und seit unglaublichen 83 Jahren auch beim BRK. Denn dort konnte sie immer ausleben, was sie besonders gut kann: helfen. Das ist der rote Faden in ihrem langen Leben. „Ich glaub, ich habe ein Helfersyndrom“, sagt sie und wieder bilden sich viele tiefe Lachfalten um ihre Augen. Auch im Alter ist es ihr nie langweilig geworden. Vor der Pandemie fuhr sie mit ihrer Tochter Adelheid einmal die Woche zum Strickkreis nach Apfeldorf. Ihre Tochter liest ihr jeden Tag die Zeitung vor, damit sie auf dem Laufenden bleibt. „Sie weiß alles, auch politisch.“ Bei schönem Wetter wandert sie gerne im Garten. Mit 95 stieg sie noch vom Gipfel des Hörnles bis zur Bergwachthütte hinunter. Schließlich war sie immer eine sportliche Frau und hat eine Karriere als Skifahrerin hinter sich. Ihr liebstes Hobby, das Stricken, übt sie auch blind aus. „Je weniger ich seh, desto besser werden die Finger“, sagt Anni Endres. ANDREAS MAYR