Wenzenbach – Karl Baumann klappt seinen Laptop auf, er schaltet die kleine Kamera und das integrierte Mikrofon an. Gleich geht sie los, die virtuelle Sitzung der Selbsthilfegruppe für Post-Covid-Patienten. Anfang Dezember hat der 52-Jährige seine Idee einer Austauschrunde nach einem schweren Corona-Krankheitsverlauf in die Tat umgesetzt. Seitdem treffen sich regelmäßig etwa zehn Post-Covid-Erkrankte vor dem Bildschirm – sie helfen sich gegenseitig, tauschen sich aus und besprechen Probleme.
Karl Baumann
„Angesteckt habe ich mich wahrscheinlich am siebten März 2020 im Wirtshaus“, erinnert sich Baumann. Eine Woche später kränkelte er. Danach ging alles Schlag auf Schlag. 40 Grad Fieber, Krankenhaus, positives Testergebnis. „Am Anfang haben die Ärzte gedacht, ich habe eine schwere Grippe“, sagt der Wenzenbacher (Kreis Regensburg). „Corona hat ja damals noch niemand so richtig ernst genommen.“ Doch Baumann ging es stündlich schlechter. „Ich hab keine Luft mehr bekommen. Logisch hat man Angst ums Leben“, sagt er im Nachhinein. Sein Zustand war kritisch. Die Ärzte informierten seine Frau und seinen 21-jährigen Sohn über den Ernst der Lage. Eine kurze Videokonferenz mit seinen Liebsten –dann wurde er ins künstliche Koma versetzt.
Die Ärzte hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben, doch nach zehn Tagen im Koma verbesserte sich Baumanns Zustand. Nach drei Wochen wurde er aufgeweckt. „Ich musste das Atmen erst wieder lernen, jeder Luftzug hat Kraft gekostet.“ Sieben Wochen nach seiner Einlieferung durfte er das Krankenhaus verlassen. Doch sein Leben war nicht mehr wie vorher. Dinge wie Treppensteigen oder das Tragen von Getränkekisten, die vorher leicht von der Hand gingen, erforderten nun Baumanns volle Kraft und Konzentration. Noch heute hat er damit zu kämpfen. Baumann ging für fünf Wochen auf Reha. Mit einer Atemtherapie, Entspannungsübungen und psychologisch geführten Gesprächsrunden sollte er Stück für Stück in sein altes Leben finden. „Mit der Zeit ging es mir besser.“ Aber noch immer ist jeder seiner Schritte viel kleiner als vor seiner Erkrankung.
Nach seinem Klinik-Aufenthalt war ihm klar: Ohne weitere Unterstützung geht es nicht. Er erkundigte sich im Internet, doch ein Angebot für Post-Covid-Patienten existierte nicht – acht Monate nach dem ersten Infizierten in Bayern. Baumann gründete kurzerhand eine eigene Selbsthilfegruppe. „Irgendeiner muss es machen“, dachte er sich. Ein Ansturm von Interessierten aus ganz Deutschland überrannte ihn. „Beim zweiten Treffen mussten wir schon eine zweite Gruppe bilden.“ Seitdem treffen sich die Post-Covid-Erkrankten jeden Mittwoch digital via Zoom und sprechen vor allem über Probleme im Alltag. „Das Thema kristallisiert sich immer während der Sitzung heraus.“ Es geht um Impfungen, um Rehas oder einfach nur um Tipps, wie man einen guten Facharzt findet. „Es tut wahnsinnig gut, zu sehen, dass man nicht alleine ist.“
Cornelia Raithel
Über Facebook ist Cornelia Raithel auf Baumanns Selbsthilfegruppe aufmerksam geworden. „Ich war auf der Plattform immer im Austausch mit anderen Erkrankten“, sagt die 36-Jährige. „Es ist toll, mit Leuten zu schreiben, die dieselben Erfahrungen gemacht haben.“ Die anderen Erkrankten auch über den Bildschirm zu sehen, das gab ihr eine Extra-Portion Kraft.
Die Kindergärtnerin aus dem fränkischen Münchberg ist Mitte März 2020 an Corona erkrankt. Doch erst an Fronleichnam, Wochen nach der Infektion, ging es ihr richtig schlecht. Mit Verdacht auf eine Lungenembolie kam Raithel ins Krankenhaus. Dort stellte sich diese jedoch als Post-Covid-Syndrom heraus. Sechs Tage lang lag sie in der Klinik. „Ich habe seitdem Asthma und Allergien gegen Hausstaub und Laubbäume“, sagt Raithel. Vor der CoronaErkrankung war sie sportlich, ist regelmäßig geschwommen oder hat im Fitnessstudio trainiert. Alles Dinge, die heute unglaublich viel Kraft kosten. „Im Sommer habe ich mir eine Schwimmbahn nach der anderen wieder erkämpfen müssen.“ Erfolge, die in der Selbsthilfegruppe verstanden und gefeiert werden.
Raithel ist wichtig, dass endlich klar wird: die Krankheit ist mehr als nur eine leichte Grippe. Die regelmäßigen Treffen mit Post-Covid-Erkrankten geben ihr Kraft. „Wir versuchen uns einfach gegenseitig zu motivieren.“ In ihrem Umfeld ist sie die Einzige, die so lange unter Corona leidet. In der Gruppe ist sie eine von vielen.
Birgit Birner
Positives Denken – das ist auch Birgit Birners Schlüssel, mit der Krankheit umzugehen. In der Karwoche des vergangenen Jahres bemerkte sie die Erkrankung. „Ich habe abends für meinen Mann Bolognese gekocht und gemerkt, dass ich nichts schmecke“, erinnert sich die 46-Jährige. Ihr gesundheitlicher Zustand verschlechterte sich, doch ins Krankenhaus wollte die Hirschauerin (Kreis Amberg-Sulzbach) nicht.
Sie erholte sich, arbeitete wieder als Kundenberaterin bei der Sparkasse. „Aber mir hat die Luft zum Reden gefehlt.“ Ihr Hausarzt schickte sie zu einem Lungenspezialisten. Der diagnostizierte Spätfolgen der Corona-Infektion. Und es wurde einfach nicht besser. „Auf der Arbeit war ich nur noch anwesend.“ Mitte Juli fuhr sie, wie Karl Baumann, nach Bad Dürrheim in Baden-Württemberg. „Ich dachte, ich mache die Reha und komme gesund wieder zurück.“ Diese Traumvorstellung zerplatzte schnell. Der Klinik-Psychologe Günter Diehl, der auch die Selbsthilfegruppe betreut, habe ihr klargemacht: So wie vorher wird es nicht mehr.
Nach der Reha erfuhr sie von der Selbsthilfegruppe. „Dort sind Menschen, die meine Probleme verstehen.“ Mit Diehls Hilfe fand sie einen Weg, wieder zu arbeiten. Mit anderen Aufgaben, aber im selben Unternehmen. „Ich bin dankbar, dass mein Arbeitgeber so verständnisvoll ist“, sagt sie. Nicht alle in Birners Umfeld teilen diese Einstellung. „Es gibt Leute, die denken: Die ist nur an Corona erkrankt, weil sie unvorsichtig war. Doch das stimmt nicht.“ In der Selbsthilfegruppe zählt das alles nichts. „Hier macht einem niemand einen Vorwurf.“ Dafür ist Birner dankbar.
Karl Baumann klappt den Laptop zu. „Nach den Treffen bin ich immer platt, aber es ermutigt mich, zu sehen, dass die Selbsthilfegruppe die richtige Entscheidung war.“ Eine Stunde haben sich die Post-Covid-Erkrankten ausgetauscht. Ein weiterer kleiner Schritt zurück ins Leben.
Kontakt
Wer Interesse an der Corona-Selbsthilfegruppe hat, kann eine E-Mail an Karl Baumann unter gruppe@pc-19.de schicken.