Miesbach – Hans-Günther Kaufmann hat sein Glück gefunden. Nicht in schnellem Geld und hübschen Frauen. Beides hatte der Fotograf als junger Mann zur Genüge. „Erleuchtung ist ein höheres Ziel als Reichtum“, sagt der 77-Jährige heute. Er sitzt in der Stube seines Anwesens in Miesbach an einem alten Holztisch, die Hände gefaltet, und lächelt. Der Glaube hat ihm dabei geholfen, anzukommen. Doch der Weg dorthin war alles andere als leicht. „Fröhlichkeit hat viel mit Wahrnehmung zu tun“, sagt Kaufmann. Und so ist er, obwohl auch er als selbstständiger Fotograf schwer von der Pandemie betroffen ist, zufrieden. Es gelingt ihm sogar, der Krise etwas Positives abzugewinnen. „Das Bewusstsein für die wesentlichen Dinge ist geschärft“, sagt er. „Ich glaube, wir haben jetzt die Möglichkeit zu einem Neuanfang.“
Wie so ein Neuanfang aussehen könnte, will er in seinem neuen Buch „Die Sehnsucht nach dem Ursprung ist die Sehnsucht nach dem Anfang“ aufzeigen. Die darin enthaltenen Fotos sind in den vergangenen Monaten entstanden, dazu gibt es meditative Textpassagen. Seine Intention verdeutlicht Kaufmann anhand der ersten Abbildung. Sie zeigt eine brechende Welle an der spanischen Küste. „Ein Meer, das so bewegt ist, zeigt mir die Urkraft des Geistes“, erklärt er. Die Entstehung des Bildes ist typisch für Kaufmanns Arbeitsweise. Dass er zu diesem Zeitpunkt an der richtigen Stelle stand, war Zufall. Er hatte sich verfahren. Letztlich aber war er dort, wo er sein sollte. Im Laufe seines Lebens rückte die intuitive Fotografie immer mehr in den Fokus. Anstatt rastlos dem nächsten Schnappschuss hinterherzujagen, wartet Kaufmann auf ein Zeichen. Das Bild muss ihn ansprechen. „Dann fotografiert man ein Objekt gleich aus einem anderen Blickwinkel.“
So hat der 77-Jährige nicht immer gearbeitet. Früher, als junger Mann, pendelte er noch zwischen Modemetropolen und den Stränden der Karibik. Für verschiedene Auftraggeber, unter anderem Triumph und den Playboy, knipste er weltweit bekannte Models. Leicht bekleidete Frauen posieren aber schon lange nicht mehr vor seiner Linse. Kaufmann, dessen Leben seit seiner Geburt im französischen Tours eine einzige Reise war, ist in Miesbach sesshaft geworden und hat zur Religion gefunden.
Nicht erst vor Kurzem, schon vor vielen Jahrzehnten, Anfang der 1970er. „Eine kleine Stimme hat sich in meinem Kopf eingenistet und gefragt: Wie lang willst du das noch machen?“, erzählt er. Das Jetset-Leben, umgeben von Stars und schnellen Autos, hatte seinen Reiz verloren. Die Suche nach einem tieferen Sinn führte ihn zunächst zur Fotografie bayerischer Bräuche – wodurch Kaufmann auf den Menschen traf, der sein Leben bis heute prägt wie kein anderer: den Benediktiner-Abt Odilo Lechner, der 2017 starb. Er war Kaufmanns bester Freund, noch heute bekommt er feuchte Augen, wenn er über ihn spricht. Gemeinsam veröffentlichten beide etliche Bücher. Kaufmann schoss die Fotos, Lechner veredelte sie mit spirituellen Texten. Ihre Beziehung aber ging weit darüber hinaus. Die Gespräche mit dem Geistlichen bewegten Kaufmann dazu, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Aus einer beruflichen Begegnung entstand eine tiefe Freundschaft.
Die Anwesenheit Lechners spüre er noch immer in vielen Situationen des Alltags, sagt Kaufmann. „Er begleitet und behütet mich.“ Deshalb müsse er ihn auch nicht vermissen. Wonach er sich aber sehne, „sind die Umarmungen und sein Humor“. Der Tod seines Freundes ist nicht der einzige Schicksalsschlag, der Kaufmann 2017 ereilte. Ein halbes Jahr zuvor starb seine Schwester, die Schauspielerin Christine Kaufmann, an Leukämie. „Das war ein Schock“, erzählt er. „Diese Erfahrung gab mir das Gefühl, selbst am Ende zu sein.“ Monatelang kämpfte er mit schlaflosen Nächten. Das Verhältnis zu seiner berühmten Schwester war nicht immer leicht. Ihre enge Beziehung veränderte sich mit dem Bekanntwerden von Christine und ihrem Leben in Hollywood. „Als ich sie nach der Scheidung von Tony Curtis aus Amerika geholt habe, war sie mir ein wenig fremd“, erinnert sich Kaufmann. Christine hatte sich verändert. Durch den Erfolg, aber auch durch Drogen. „Aber wenn man mit 17 einen Golden Globe gewinnt und ein Weltstar ist, wie soll man da normal bleiben?“, fragt er.
Wenige Wochen vor ihrem Tod kam sie noch einmal auf ihren Bruder zu. Sie plante eine Reise in sein Refugium in Spanien, das sie bis zu diesem Zeitpunkt immer als einsam und trist empfand. „Sie wollte endlich einmal bei sich sein“, erzählt Kaufmann. Hätte Christine noch länger gelebt, glaubt Kaufmann, „dann hätte auch sie die Ruhe in Gott gefunden“.