Garmisch-Partenkirchen/Kathmandu – Das Archiv des Himalaya kommt aus Garmisch-Partenkirchen. Seit 2016 leitet Billi Bierling die „Himalayan Database“ – Statistiken zu rund 400 Bergen Nepals werden hier festgehalten. Die 53-Jährige lebt sechs Monate im Jahr in Nepal und war auch Ende März wieder vor Ort: „Als ich angekommen bin, dachte ich mir erst: Oh, das ist toll. Endlich wieder ein normales Leben.“ Die Leute haben zwar Masken getragen, aber überwiegend draußen, wegen der starken Luftverschmutzung aufgrund der zahlreichen Waldbrände.
Anfang April hatte Khadga Prasad Sharma Oli, der nepalesische Ministerpräsident, noch verkündet, es würde keinen zweiten Lockdown geben. Am 20. April stoppten Golfstaaten wie Kuwait, Saudi-Arabien und die Vereinten Arabischen Emirate alle Flüge aus Indien. Es folgte ein massiver Zustrom an indischen Arbeitern, die via Nepal in die Golfstaaten reisen wollten. Die Hotelbesitzer in Nepal freute es. Zumindest eine Zeit lang. Mister Puru vom Hotel Samsara in Kathmandu war so beschäftigt, dass er Bierling nicht mal den üblichen Kaffee anbieten konnte, berichtet sie. Zwei Wochen später lag der Hotelier mit einer mittelschweren Corona-Erkrankung im Bett. „Es ging dann ziemlich schnell. Man hat sofort gemerkt, und wusste eigentlich auch schon vorher, dass das Gesundheitssystem komplett zusammenbrechen wird. Die Angst der Leute war zu spüren“, sagt Bierling.
Laut einem Bericht der Behörden standen für die 30 Millionen Einwohner Nepals zwischenzeitlich nur 1595 Intensivbetten sowie 480 Beatmungsgeräte zur Verfügung. Nicht nur für Bierling ist es traurige Ironie, dass zeitgleich hunderte von Litern an Sauerstoff verwendet werden, um hunderte ausländischer Bergsteiger auf den höchsten Punkt der Erde, den Everest, zu führen.
410 Genehmigungen wurden 2020 erteilt, mehr als vor der Pandemie. „Es fühlt sich irgendwie seltsam an, dass die Everest-Saison noch voll im Schwung ist, während im Rest des Landes die Pandemie wütet“, sagt Bierling. Die Garmisch-Partenkirchenerin war selbst schon ganz oben, auf 8849 Metern. Als erste deutsche Bergsteigerin gelang ihr der Aufstieg des Mount Everests über die Südseite. Die Arbeit für die Himalayan Database ist ehrenamtlich. „Man kann mit keinem Geld der Welt bezahlen, was ich durch die Arbeit in Nepal erleben darf.“ Was Bierling Ende April und Anfang Mai in ihrer Wahlheimat erlebte, war dann alles andere als schön. Seit dem 3. Mai ist die Bergsteigerin wieder in Garmisch-Partenkirchen bei ihrer Familie, ihren Wurzeln, wie sie sagt.
Am Everest sind hingegen immer noch rund 100 ausländische Bergsteiger, die den Aufstieg wagen wollen, sobald es das nächste Zeitfenster zulässt. 130 waren in diesem Jahr bereits auf dem Gipfel. Auch im Basislager gab es Corona-Fälle, 30 wurden bestätigt, die Dunkelziffer wird wohl deutlich höher sein, vermutet Bierling. 11 000 US-Dollar verdient die nepalesische Regierung pro Bergsteiger, die 410 Genehmigungen haben 4,5 Millionen Dollar in die Staatskasse gespült.
Bierling reist seit 15 Jahren nach Nepal. Die Geschichten ihrer Freunde bestürzen sie. Die Cousine ihrer Zahnärztin lag im Patan Krankenhaus auf einem Behelfsbett im Gang, verlor nach fünf Tagen Sauerstoffmangel den Kampf gegen das Coronavirus. „Mich macht es unendlich traurig, dass die Menschen von der Regierung so alleingelassen werden“, sagt Bierling. „Hier in Garmisch-Partenkirchen fühle ich mich einfach nur hilflos. Aber mir ist auch bewusst, dass ich vor Ort nicht viel bewegen könnte.“