Den Himmel bitte nicht knicken

von Redaktion

ZU FRONLEICHNAM: Kunststickerei in Engelsberg restauriert Prozessionsbaldachine

Engelsberg – Regen mag der Himmel gar nicht. Da können sich hässliche Wasserränder bilden auf dem kostbaren Seidenstoff. Denn die Tropfen, die vom natürlichen Himmel fallen, enthalten Mineralstoffe und Schmutzpartikel und hinterlassen auf dem Traghimmel für die Fronleichnamsprozession deutliche Spuren.

Wenn ein Baldachin erst einmal so richtig gelitten hat, dann könnte er ein Fall werden für Carmen-Maria Zwislsperger und ihre Mutter Annemarie Jaeschke. Sie führen in Engelsberg (Kreis Traunstein) eine renommierte Kunststickerei, in der sie mit neun Mitarbeiterinnen nicht nur prächtige Fahnen für Gebirgsschützen oder Feuerwehren fertigen, sondern auch Messgewänder, Altartücher oder Kirchenfahnen nähen, besticken und aufwendig restaurieren. Und eben Prozessionsbaldachine, die traditionell an Fronleichnam herausgeholt werden. Vier Himmelsträger – meist sind das Oberministranten – tragen das oftmals kostbare Damast- oder Seidentuch mit seinen wertvollen Stickereien über dem Pfarrer, der in der Monstranz die Hostie durch die Straßen trägt – und damit die Gegenwart Christi bezeugt.

Doch heuer fallen in den meisten Pfarrgemeinden die Prozessionen wegen Pandemie-Beschränkungen wieder aus. Die prächtigen Baldachine kommen trotzdem vielerorts zum Einsatz: bei Corona-gemäßen Gottesdiensten im Freien. So auch in Engelsberg, der nördlichsten Gemeinde im Kreis Traunstein. Und in Kastl (Kreis Altötting), wo Carmen-Maria Zwislsperger wohnt. Die 48-Jährige ist natürlich dabei, wenn der Himmel zum Freiluftgottesdienst aus der Kirche getragen wird. Schließlich sind zwei ihrer drei Söhne als Ministranten in Aktion.

Wird der Himmel in einer Pfarrei in diesem Jahr nicht ausgepackt, dann bräuchte er eine ganz besondere Fürsorge. „Wenn uns eine Pfarrgemeinde fragt, dann empfehlen wir, den Himmel liegend auf einer festen Platte aufzubewahren, die Seitenteile nach innen geklappt“, sagt die Expertin. Am besten noch ein Tuch darüber legen, damit er nicht verstauben kann, und in einem trockenen Raum lagern. Die größte Gefahr für die wertvollen Stoffe sind neben den Motten Feuchtigkeit und Temperaturschwankungen. Ist es sehr feucht, bilden sich Stockflecken. Besonders in den Knickstellen. „Wenn ein Baldachin nicht fachgerecht gelagert wird und das Klima nicht passt, dann bricht der Stoff an diesen Kanten.“ Manche Gemeinden stellten den Himmel einfach zusammengeklappt hinter den Hochaltar – bei nicht gut geheizten Kirchen ein Graus für Restauratoren.

Baldachine sind in der Regel aus Damaststoff mit eingewebten kirchlichen Motiven. Aber es gibt auch Himmel aus Samt oder reiner Seide. Wenn beschädigte Prozessionsbaldachine zur Kunststickerei Jaeschke & Zwislsperger kommen, werden sie entweder restauriert oder konserviert. „Es kommt darauf an, wie sehr der Untergrundstoff in Mitleidenschaft gezogen ist und in welcher Technik darauf gestickt ist“, erklärt Carmen-Maria Zwislsperger.

Bei der Restaurierung werden die Stickereien vom alten Stoff abgenommen und auf einen neuen Stoff übertragen. Bei einer Konservierung etwa eines wertvollen Exponats mit Goldeinwebungen werden Risse per „Spannstichverfahren“ gesichert. Hier ist großes Fingerspitzengefühl erforderlich. „Dann muss der Baldachin in seine kompletten Einzelteile zerlegt werden, sodass man an die oberste Stoffschicht kommt.“ Er wird glatt gespannt und unterfüttert. Die Risse werden mit Haarseide repariert. „Damit werden in Gegenrichtung der Risse ganz feine Linien gespannt und alle paar Millimeter von Hand niedergenäht.“ So kann ein weiterer Verfall verhindert werden. Sehr aufwendig und langwierig. „Zu uns kommen oft Exponate, bei denen man sehr, sehr vorsichtig sein muss“, sagt Zwislsperger. Das waren auch schon mal alte chinesische Grabgewänder oder die Seidenbespannungen von Schloss Herrenchiemsee.

Die meisten Pfarrgemeinden haben wertvolle und alte Himmel in Gebrauch. Manchmal aber wird auch ein neuer Baldachin in Auftrag gegeben bei den Kunststickerinnen. Das Grundmodell aus Brokat kostet um die 5000 Euro netto – nur mit einfacher Stickerei des Jesus-Monogramms IHS unter dem Dach des Himmels. „Nach oben ist keine Grenze. Es kommt darauf an, wie aufwendig die Stickerei ist.“ Ob zum Renovieren oder zur Neufertigung: Für den Himmel ist Engelsberg eine gute Adresse. CLAUDIA MÖLLERS

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