KOLUMNE

VON SUSANNE BREIT-KESSLER* In Schönheit leben

von Redaktion

Irgendwann ist man aus dem Alter heraus, in dem man sich widerstandslos von Jugendlichen für seinen bisherigen Lebensstil beschimpfen lässt oder sich bei ihnen anbiedert und schuldbewusst demonstrierend mit um die Häuser zieht. Um anschließend aufatmend einen Spritz in sich hineinzugießen. Die Lust lässt einfach nach, von einem Katastrophenszenario ins nächste zu taumeln und wieder mal apokalyptische Untergangsgesänge anzustimmen. Am Weltumwelttag an diesem Samstag läge das nahe.

Ich höre und lese von Zerstörung, überfordert, betroffen, bedroht, aufwachen, Stimme erheben, ausgebeutet, zerstört, verloren gegangen. Und ich muss mich vor Wegwerfplastik hüten. Das ist das Motto dieses Jahres. Da mir Kotaus vor Moralpredigten – von wem auch immer – seit jeher zuwider sind, wollte ich mich aber immerhin, neudeutsch gesprochen, in den Tag „eingrooven“. Ich liebe nämlich mein Land, bin ein Naturfreak und sortiere energisch unseren Müll.

Wir haben ein Eichhörnchen zum Freund, das uns auf dem Balkon besuchen kommt und bei uns artgerecht luncht. Wir pflanzen bienenfreundliche Blumen, bewirten Hummeln und Schmetterlinge. Spinnen trage ich freundlich aus der Wohnung. Ich koche öko und regional.

Mit Leichenbittermiene aber hat noch keine die Welt gerettet. Stattdessen verzaubern mich Sätze, die fast ein halbes Jahrhundert alt sind. Sie stammen von Carl Friedrich von Weizsäcker, der sie zur Eröffnung der Salzburger Festspiele gesprochen hat: „Schönheit ist eine Mitwahrnehmung des Lebensnotwendigen, aber indirekt, ohne das Pathos der Notwendigkeit.“ Der große Philosoph spricht von der „Schönheit, die zur Leidenschaft der Liebe zwingt“. Das ist nun wirklich verlockend – die Schönheit dessen, was uns umgibt, als einen entscheidenden Aspekt von Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit zu begreifen. Nicht Menschen bedrohen, ihnen Vorwürfe oder Angst machen – nein, sie lehren zu sehen: Wie attraktiv und genussvoll Lebensstile, Produktion und Konsum sind, die maßvoll und behutsam mit Ressourcen umgehen, die ökologische Vielfalt charmant feiern und Grenzen sensibel wahrnehmen.

Auf der Internetseite des Weltumwelttages ermuntert ein Spiel dazu, Städte, Seen, Meere, Wald oder Landwirtschaft neu zu gestalten. Man kann sich für Maßnahmen entscheiden, die allesamt von einem selbst in Angriff genommen werden können. Schönheit, eine Mitwahrnehmung des Lebensnotwendigen, ohne Pathos. Eine Schönheit, die zur Leidenschaft der Liebe zwingt. Ich gehe jetzt raus, warte auf das Eichhörnchen und pflanze neue Blumen.

* Susanne Breit-Keßler ist Vorsitzende des Bayerischen Ethik-Rates. Ihre Kolumne erscheint alle zwei Wochen.

Artikel 11 von 11