Krailling – Die Nachrichten über Corona setzten dem 57-Jährigen aus Germering (Kreis Fürstenfeldbruck) zu. „Überall in der Arbeit, in der S-Bahn in den Nachrichten, nur noch Corona“, sagte er zu Beginn des Prozesses. „Ich wollt eigentlich nimmer leben.“ Vor der Pandemie ging es dem Techniker gut, berichtete er. Mit seiner Lebensgefährtin wollte er nach Florida und Ägypten, das Wunschauto war bestellt, durch eine Erbschaft ausreichend Geld vorhanden. Dann kam Corona – und setzte ihm psychisch sehr zu. „Ich hatte panische Angst, dass sie oder ihre Eltern oder meine Eltern sich anstecken würden“, sagte er und wischte sich mit einem Taschentuch über die Augen. Mit seiner Lebensgefährtin hatte er sich gestritten, wegen der Ansteckungsgefahr. Bei beiden hatte es am Arbeitsplatz Infektionen gegeben. Ihn quälte die Angst, das Virus mit heimzubringen. Telefonisch hatte er sich schon eine Verlängerung seiner Krankschreibung organisiert. Seine Freundin hätte in der bevorstehenden Woche wieder zur Arbeit in einer Versicherung gehen sollen.
Mit diesen Sorgen im Kopf setzte er sich am Mittag des 4. April 2020 ans Steuer seines Transporters. „Ich bin eine Stunde ziellos durch die Gegend gefahren“, sagte der Angeklagte mit leiser Stimme. Die Entscheidung, nicht mehr leben zu wollen, sei wie ein Kurzschluss gewesen.
Der Vorsitzende Richter Thomas Bott wollte wissen, ob er bereits vorher schon Selbstmordgedanken gehabt hatte. „Nein“, erwiderte der 57-Jährige. „Auch an diesem Samstag kam nicht der Gedanke. Wir hatten ja so viel vor.“ Tatsächlich aber hatte er sich an den Tagen zuvor mit dem Gedanken getragen, nicht mehr zurückzukommen. „Ich wollte einfach nicht mehr leben, aber ich habe den Gedanken weggeschoben“, erinnerte sich der Germeringer. Auf der langen, schnurgeraden Fahrspur zwischen Germering (Kreis Fürstenfeldbruck) und Gauting (Kreis Starnberg) wendete er dann, fuhr zurück, öffnete seinen Gurt und beschleunigte auf Tempo 120. „Das Gefühl wurde dann so stark, dass ich in den Gegenverkehr gefahren bin“, sagte der Angeklagte. Er habe schreckliche Bilder und den Streit vor Augen gehabt. Das sei dann zu viel gewesen. In welchen Wagen er im Gemeindegebiet Krailling krachte und wie viele Menschenleben er auslöschen würde, hatte er nicht bedacht.
Er prallte mit einem 64-jährigen Familienvater zusammen. Dessen Wagen wurde durch den Aufprall von der Fahrbahn geschleudert und landete auf dem Dach liegend an einem Baum. Der Mann starb unmittelbar nach dem Unfall an einem zweifachen Aortenabriss. Seine drei Töchter sind als Nebenklägerinnen zugelassen. Eine der jungen Frauen verfolgte den Prozessauftakt an der Seite ihres Anwalts.
An den möglichen Tod anderer Verkehrsteilnehmer hatte der Germeringer keinen Gedanken verschwendet. „Aber das ist die zentrale Frage“, hielt ihm der Richter vor. „Wenn der andere hätte ausweichen können, hätte Ihr Plan nicht funktioniert.“ Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord aus niedrigen Beweggründen, Heimtücke und mit gemeingefährlichen Mitteln vor. Ihm sei völlig gleichgültig gewesen, dass und wie viele Menschen ihr Leben verlieren würden.
Der Prozess wird heute mit der Vernehmung der Zeugen fortgesetzt. Einer der Autofahrer, der hinter dem Wagen des 64-Jährigen gefahren war, hatte mit einer Armaturenbrett-Kamera wichtige Beweise geliefert.