Gauting – Die Kanzlei des Patentanwalts läuft hervorragend. Als Maschinenbauingenieur und Jurist mit Prädikatsexamen ist Matthias Bosch exzellent ausgebildet. Spezialgebiet: Patentstreitigkeiten in der Technologiebranche. Doch Karriere ist für ihn nicht alles. Schon als junger Mann hatte sich Bosch vorgenommen, 25 Jahre lang alle Energie in den Job zu stecken – und dann ein neues Leben zu beginnen.
Jetzt hat er seinen Traum verwirklicht. Anfang des Jahres ist der 53-Jährige aus seiner Kanzlei ausgestiegen und kümmert sich nun um die Würde des Menschen. Das mag hochtrabend klingen, aber Bosch hat ganz geerdete Beweggründe. Er will das Selbstbewusstsein von Kindern stärken, „damit der Umgang miteinander wieder würdevoller wird“. Was sich wie ein Märchen anhört, ist wohlkalkulierte Lebensplanung, gepaart mit Idealismus und der nötigen beruflichen Fortune. Bosch hatte durch den Technologie-Boom so viel wirtschaftliches Glück, dass er sich jetzt ehrenamtlich um ein neues Lebensprojekt kümmern kann: Global Dignity – weltweite Würde.
2018 hörte er das erste Mal von der Global-Dignity-Stiftung – auf einer Konferenz berichtete ihm eine Kollegin von der Initiative, die 2006 nach dem Weltwirtschaftsgipfel unter anderem von Norwegens Kronprinz Haakon gegründet wurde, als dieser mit anderen Führungskräften über die Polarisierung in der Welt diskutierte. Sie ist in 80 Ländern tätig und wird unterstützt von namhaften Persönlichkeiten wie dem Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu.
Bosch war elektrisiert von der Idee, berichtete seiner amerikanischen Frau Beau Barberis davon und dann stand fest: „Da wollen wir mitmachen, das ist großartig.“ Als sie erfuhren, dass die Stiftung in Deutschland noch nicht tätig ist, gründeten sie den deutschen Zweig. „Corona war dazu der Brandbeschleuniger“, sagt Bosch, denn er stand vor der Entscheidung: Nach der Pandemie beruflich wieder voll durchstarten oder etwas ganz Neues beginnen? Ihm war klar, wenn er es machen will, dann jetzt.
„Würde ist eigentlich so ein spröder Begriff“, sagt der Vater eines 14-jährigen Sohnes. „Aber eigentlich ist es das Band, das alle Menschen miteinander verbindet. Es hilft, einen Wertekompass zu bekommen.“ In der Globalisierung, von der Bosch so profitierte, „fehlt es daran, dass wir ein universelles, verständliches und griffiges Menschenrecht haben“. Zwar sei die Würde im Grundgesetz verankert- „Aber leider ist es inzwischen etwas eingestaubt.“ Global Dignity Deutschland veranstaltet Workshops in Schulen, wegen Corona fiel das weg. Boschs Ehefrau kam da auf die Idee eines Malbuchs, damit Kinder etwas zu tun haben und spielerisch lernen, was Würde bedeutet. Beau Barberis schrieb ein Gedicht und Fiene Berger illustrierte das Buch, das unter dem Titel „Wie fühlt sich Deine Würde an?“ auf der Internetseite www.global-dignity.de herunter zu laden ist.
„Das Buch zeigt, dass Würde immer dann stattfindet, wenn sich zwei Menschen begegnen“, erklärt Bosch. „Wenn ich mein Spielzeug teile, mein Pausenbrot abgebe, wenn ich jemanden in den Arm nehme oder versuche zu helfen, ist das genau der Moment, in dem sich Würde manifestiert. In dem Moment nehme ich den andern an, wie er ist.“ Dann, hofft Bosch, finden Diskriminierung, Sexismus, Rassismus und Hassreden keinen Nährboden mehr. „Dass wir die Welt verändern, glaube ich nicht“, räumt der Gautinger ein. „Aber wir verändern das Leben von einigen Menschen.“ Vielleicht entdeckten Kinder das Thema für sich und tragen es weiter.
Damit es aber nicht nur Kinder erreicht, die das Buch vom Computer herunterladen können, findet gerade ein digitaler Spendenlauf für das Malbuch statt. Jeder, der mitläuft oder radelt, zahlt zehn Euro Startgebühr und lädt seine Daten auf die Homepage. Mit dem Geld wollen Bosch und seine Frau 40 000 Malbücher in 17 Sprachen drucken und über befreundete Hilfsorganisationen an Kindern in Flüchtlingscamps wie Lesbos verteilen. CLAUDIA MÖLLERS