München – „Einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, kann nicht der Weg für mich und auch nicht für das Erzbistum sein“ – dieser Satz von Kardinal Reinhard Marx in seiner Reaktion auf die Ablehnung seines Rücktrittsgesuchs wirkt nach. Er wolle jetzt erst nachdenken über neue Wege und weitere Reformschritte.
Neben Missbrauchsopfern sind es vor allem Frauen in der katholischen Kirche, die nun neue Erwartungen an den Münchner Erzbischof knüpfen. Wie Elisabeth Stanggassinger, Gemeindereferentin im Pfarrverband München-Westend. „Das Hin und Her macht mich schon ein bisserl wütend“, sagte sie unserer Zeitung. Aber nach der Entscheidung und dem Brief des Papstes habe „Marx jetzt schon ein bisschen mehr freie Hand“, hofft sie. Sie ist froh, dass der Erzbischof bleibt. Wenn der Papst ihn zum Weitermachen aufrufe, dann müsse Franziskus auch akzeptieren, in welcher Weise der Kardinal weitermacht. „Ich erwarte, dass er noch klarer Reformen anmahnt, dass er gewissen Amtsbrüdern schärfer an den Karren fährt als bisher, dass er sich die Freiheit nimmt, viel stärker auf weitere Schritte zu drängen.“
Das Wichtigste sei, dass die Missbrauchsopfer in den Blick genommen werden müssten. „Wer hat sie eigentlich mal gefragt, was sie brauchen?“, will die Gemeindereferentin wissen. Es dürfe nicht mehr gefeilscht werden um die Hilfen. Stanggassinger denkt hier nicht nur an Geld, sondern an therapeutische Angebote, eine echte Entschuldigung. „Da sind Leben zerstört worden. Das ist das Allerwichtigste, das jetzt vorangetrieben werden muss.“ Und dann müsse es eine „Jetztzeit-Kirche“ geben – oder es werde Kirche in Zukunft nicht mehr geben.
Renate Spannig, Sprecherin der Reformbewegung „Maria 2.0“ in München, hat langsam keine Geduld mehr mit ihrer Kirche. Sie fordert, die Ungleichbehandlung von Frauen, aber auch der pastoralen Mitarbeiter abzuschaffen. Noch Anfang Mai hatte sie mit Vertretern anderer Reformgruppen ein Gespräch mit dem Kardinal, in dem sie mehr Befugnisse für pastorale Mitarbeiter vorgeschlagen hatten. Sie sollten Begräbnisfeiern leiten können, in Eucharistiefeiern predigen, Krankensalbung spenden dürfen, taufen, Trauungen leiten und bei Erstkommunionen und Firmungen eine wichtigere Rolle spielen. Bislang habe der Kardinal aber nicht deutlich genug gemacht, dass er auch in seinem Erzbistum hier Reformen wolle. Spannig nimmt ihm ab, dass ihn die Schicksale der Missbrauchsopfer wirklich erschüttern. „Es beschäftigt ihn sehr, dass auch er weggeschaut hat.“ Sein Brief an den Papst, mit dem er sein Rücktrittsgesuch begründet hatte, lässt sie nun aber auf Veränderungen hoffen. „Wir möchten sehr gerne mit dem Kardinal die Reformen angehen“, sagt Spannig. „Wir stehen zur Verfügung.“
Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick stellt besonders den Inhalt des Papstbriefes heraus. In ihm stelle Franziskus seine Sicht der gegenwärtigen Situation der Kirche dar. „Er verlangt Aufklärung und Aufarbeitung des Missbrauchs“, so Schick. „Die Opfer müssen im Mittelpunkt stehen und nicht die Institutionen. Dazu braucht es radikale Bekehrung aller Einzelner zu den Werten und Tugenden des Evangeliums und auch Reform der kirchlichen Institutionen.“ Dabei solle Kardinal Marx „an seinem Platz“ weiterhin mitwirken.
Der Augsburger Bischof Bertram Meier indes betont, dass der Papst den „synodalen Weg“ in Deutschland mit keinem Wort erwähnt habe. „Sein Anliegen ist eine spirituelle Erneuerung, die sich der Krise stellt, aber sich nicht in Konflikten verausgabt.“ CLAUDIA MÖLLERS (mit kna/lby)