Man nannte sie Drückeberger

von Redaktion

Ein Professor für Romanistik war Doyen der Kriegsdienstverweigerer

Wie es halt manchmal so kommt: Neulich bei einem Kurzurlaub in Würzburg trabt man abends müde Richtung Pension – und zufällig fällt der Blick auf eine große Plakette an einer Hauswand. Hier wohnte Professor Franz Rauhut – „sein Streben“, so heißt es, galt nicht weniger als „der Befreiung der Menschheit von Soldatentum und Krieg“.

Rauhut – nie gehört. Und das macht neugierig. Wer googelt, stößt auf eine interessante Lebensgeschichte: Rauhut (1898-1988) war Professor für romanische Sprachen und Pazifist. Er legte sich mit Adenauer an, lehnte die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik kompromisslos ab. Er beriet Kriegsdienstverweigerer und schrieb ein Handbuch mit praktischen Tipps, um als Verweigerer anerkannt zu werden: „Kriegsdienstverweigerer heute. Gewissens- und Rechtsfragen“ war 1972 ein Bestseller und erlebte mehrere Auflagen.

Seit nunmehr zehn Jahren ist der Grundwehrdienst bei der Bundeswehr abgeschafft – und damit endete auch die 50-jährige Geschichte der Zivildienstleistenden. 1961 waren die ersten 340 Kriegsdienstverweigerer in den Bodelschwinghschen Anstalten von Bethel/Bielefeld eingerückt.

Sie hatten es in der jungen BRD sehr schwer. „Drückeberger“ war eine der landläufigen Bezeichnungen für diejenigen, die den Dienst mit der Waffe verweigerten.

Roland Wagner-Döbler, 67, war einer dieser „Drückeberger“. „Meine Eltern“, sagt der ehemalige Münchner, der heute in Hof lebt, „haben mir vom Krieg erzählt. Das hat mich enorm geprägt.“ Ein Dienst an der Waffe – unvorstellbar für ihn. Also verweigerte er. Leicht war das Mitte der 1970er-Jahre nicht. Vor einer Kommission im Münchner Kreiswehrersatzamt musste er sich mündlich rechtfertigen. „Es war wie ein Examen“, sagt er. Die Jury stellte auch fiese Fragen – etwa die: Sie sehen, wie ein schwer bewaffneter Terrorist in das Zeltlager dringt, in dem Ihre Freundin ist. Was machen Sie? „Ich habe mich zunächst gewunden“ – sollte er wirklich sagen, dass er auch hier gewaltlos bleiben würde? Nein, würde er nicht, gab er schließlich zu. Die Prüfer ließen es durchgehen.

Die Erfahrungen Wagner-Döblers decken sich mit Beobachtungen des Historikers Patrick Bernhard, der für die Bundeszentrale für politische Bildung einen Aufsatz zu Kriegsdienstverweigerern und Zivildienst geschrieben hat: Staatliche Prüfungskommissionen „schreckten viele ab“, schreibt er. Die Bundeswehrbürokratie baute „einen eigenen gerichtsähnlichen Prüfapparat“ auf, Kritiker sprachen von einer „Gewissensinquisition“. Trotzdem nahm – auch eine Folge von 1968 – die Zahl der Verweigerer stetig zu: von mehreren Tausend in den 1960er-Jahren bis zu 180 000 im Jahr 2001.

Franz Rauhut hatte an dieser Entwicklung seinen Anteil. Der Experte für französische Lyrik hatte sich 1928 in München habilitiert, doch eine Karriere in der Wissenschaft blieb ihm im Nationalsozialismus verbaut – der linientreue Rektor der Münchner Uni hintertrieb seine Berufung als Professor, weil Rauhut unter anderem die Eingliederung des Bayerischen Lehrerbunds in den NS-Lehrerbund abgelehnt hatte. Erst 1948 (bis 1967) gelang es Rauhut, zum ordentlichen Professor für romanische Philologie in Würzburg berufen zu werden.

Neben seiner Lehrtätigkeit engagierte sich Rauhut gegen die von Bundeskanzler Konrad Adenauer und auch vom jungen Franz Josef Strauß betriebene Wiederbewaffnung der Bundesrepublik.

Der Streit um den Aufbau der Bundeswehr war der wohl schärfste Disput in den 1950er-Jahren. Auch nachdem Ende 1955 die ersten Soldaten vereidigt worden waren, verebbte die ruppig geführte Auseinandersetzung nicht – der „Spiegel“ bezeichnete Franz Rauhut dabei als „Kämpfer gegen Atomrüstung und Militarismus“. Überliefert ist ein heftiger Streit 1956 wegen einer angeblichen Beleidigung Adenauers, der sogar den damaligen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (SPD) beschäftigte. Rauhut und sein Mitstreiter, der Staatswissenschaftler Franz Paul Schneider, sollten Adenauer in einer Versammlung „scharfen, aber beschränkten Verstand“ bescheinigt haben. „Soll unsere Jugend, die nicht weiß, was Krieg ist, Kanonenfutter werden?“, fragte Rauhut in die Runde. Er nannte die Verweigerung des Kriegsdienstes eine „patriotische Pflicht“.

So scharf war die Auseinandersetzung, dass das Kultusministerium auf Verlangen Hoegners eine Anhörung der Professoren einberufen sollte – dazu kam es dann aber doch nicht. Auch in den Folgejahren schaltete er sich mit Publikationen zum Pazifismus immer wieder in die politische Diskussion ein. Es war nur konsequent, dass Rauhut später Rechtsberater für Verweigerer wurde.

Roland Wagner-Döbler aus Hof hat seine Entscheidung nicht bereut. Er wurde Zivi in der Werkstatt Erding für geistig und körperlich Behinderte. „Ich bin in eine Welt eingetaucht, die ich bis dahin nicht kannte – und habe dank der Behinderten meinen Horizont enorm erweitert.“ DIRK WALTER

Artikel 1 von 11