München – Helmut Kohl wollte ihn als Bundespräsident, Franz Josef Strauß nicht, weil ein anderer Politiker aus Bayern im höchsten Staatsamt seine eigenen Optionen als Hauptdarsteller auf der Bundesebene gestört hätte. Hans Maier hätte das Amt gereizt, weil sich in ihm nicht aus Macht, sondern aus Überzeugung Wirksamkeit entfalten lässt.
Schon über ein Jahrzehnt im Ministeramt, das er von 1970 bis 1986 führte, erschöpfte sich für ihn das Politische nicht im routiniert Gewöhnlichen. Darüber hatte er immer hinausgedacht, grundsätzlichen Werten und Überzeugungen verpflichtet. Opportunismus war und ist ihm fremd, Geradlinigkeit nicht: Wenn ein Ministerpräsident, dem man zu groß geworden ist, einen klein machen und das halbe Ministerium nehmen will, verzichtet man zur Überraschung ganz. Denn Politik ist nicht alles. Sein Rückgrat muss man sich nicht brechen und seine Eigenständigkeit nicht rauben lassen – vorausgesetzt, man besitzt beides und hat sich Alternativen bewahrt.
Aus welchen Quellen speist sich ein Leben wie das Hans Maiers, der heute seinen 90. Geburtstag begeht? Aus der Wissenschaft? Aus dem Glauben? Aus der Kultur? Aus allen dreien – und nicht zuletzt auch aus der Familie. Aus der Politik am allerwenigsten. Aber die Politik hat unglaublich von diesem reichen Leben profitiert. Dabei ist der Weg von der brillanten Erforschung der älteren Staatslehre und ihren politikwissenschaftlichen Implikationen alles andere als eine Direttissima in eine moderne Staatsregierung.
Hans Maier hat es gereizt, ihn zu gehen. Die Risiken als Outsider in umkämpften Zeiten, waren ihm bewusst. Ebenso aber die Verantwortung für das öffentliche Wohl; denn sie war Gegenstand seiner Forschung über Voraussetzungen von Freiheit, Recht, Gerechtigkeit und Humanität im Staat. Der Anspruch, christliche Grundwerte in die pluralistische Diskussion einzubringen, trat hinzu. Hans Maier teilte die Scheu vieler Intellektueller vor der Politik nicht, die sich auf der Suche nach der besten Lösung vor Entscheidungen fürchten. Politik muss ständig entscheiden. Und Maier wollte es auch: natürlich nicht ohne Diskurs und tiefe intellektuelle Durchdringung. Wissen, Wort und Analyse hielt er für seine Waffen; ein hohes Maß an Unabhängigkeit und Redefreiheit gleichsam für deren Patronen. Parteisoldaten agieren anders. Da der Minister aber in streitbaren Zeiten meist ins Zentrum der bildungspolitischen Zielscheiben traf, gewann er mehr und mehr Zuneigung, sogar Bewunderung der CSU und Respekt bei anders Orientierten über die Grenzen des Freistaats hinaus.
Nach dem Bruch mit Strauß kam anderntags das Angebot eines Ministeramts in einem anderen Bundesland. Maier ging zurück in die Wissenschaft, von der er eigentlich nie Abschied genommen hatte: auf den Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung, erneut mit bahnbrechenden Initiativen, etwa zu „Politischen Religionen“ und ihren freiheitsgefährdenden Charakter.
Seiner Geradlinigkeit blieb er treu, auch als Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken von 1976 bis 1988. Dass Christen politisch nicht klüger sind als andere und sich in unterschiedlichen Parteien zuhause fühlen können, hat kaum jemand früher und deutlicher formuliert als er. Der Kirche hat er vor drei Jahrzehnten institutionelle Reformen angeraten – nicht jetzt erst, wo sie an Wendepunkten ächzt. Verantwortete Freiheit könnte als Wegweiserin Hans Maiers gelten – in allen Lebensbereichen. Sie schließt Konflikte alles andere als aus: weder in der Politik noch mit Kardinal Ratzinger, als es um Schwangerenberatung ging und letztlich um die Gründung des Hilfswerks „Donum Vitae“ – gegen Rom. Der Regensburger Bischof Müller verbot Hans Maier den Mund in kirchlichen Räumen. Sinnvoller wäre es gewesen, er hätte seinen eigenen gehalten.
Freiheit ist aber zugleich auch eine Grundbedingung für Wissenschaft, gegen Frage- und Diskursverbote und gegen Ideologisierungs- und Monopolisierungstendenzen. Hans Maier hat mit dem Bund Freiheit der Wissenschaft 1970 ein Zeichen gesetzt, das sich derzeit wieder in Erinnerung ruft. Im Grunde hat er sich oft genug früher als andere, auch „Progressive“, mit drängenden Fragestellungen beschäftigt. So darf er als konservativer Reformer gelten, gestützt auf Kompetenz, Eigenständigkeit und Engagement, unter Beweis gestellt auf seinen vielen fruchtbaren Tätigkeitsfeldern.
Die Zeit nach dem Beruf und nach der Öffentlichkeit, schreibt er in seinen Memoiren, „ist die schönste Zeit im Leben“. Dass er sie noch lange genießen möge, darf man ihm aufrichtig wünschen.
*Heinrich Oberreuter (78) ist Politikwissenschaftler. Er war Assistent bei Prof. Hans Maier am Geschwister-Scholl-Institut in München.