Dorfen – Jan Hafts Superhelden heißen Gänseblümchen und Butterblume. Im Moment aber wirken sie gar nicht so heldenhaft, etwas verschämt stehen sie einige Meter entfernt von ihm unter einem Baum auf ihrer Weide und schnüffeln nur vorsichtig in seine Richtung. Denn „Gänseblümchen“ und „Butterblume“ sind die Namen der zwei Wasserbüffel, die auf dem Grundstück der Hafts im Isental leben. Sie sind nicht nur dessen spektakulärste Bewohner, sie sind auch die Beschützer vieler anderer Bewohner. Und Haft ist ihr größter Fan.
„Jahrmillionen haben hier in unseren Breiten Großtiere gelebt, Elefanten, Nashörner, Esel, Pferde, Wasserbüffel“, erzählt Haft begeistert. „Bis der Homo sapiens in Mitteleuropa ankam.“ Gleichzeitig mit unserem Auftauchen verschwanden die großen Wildtiere. Warum genau, ist nicht ganz klar, es gibt dazu unterschiedliche Thesen. „Aber das ist mir alles wurscht“, sagt Jan Haft, Jahrgang 1967. „Mir geht es um heute.“ Und heute brauchen wir wieder Großtiere, und zwar draußen, in der Landschaft. Sagt Haft.
Er ist eigentlich Naturfilmer, mit seinen Dokumentationen hat er viele Preise gewonnen; etwa mit einem Film über „Die Wiese – ein Paradies von nebenan“. Über dasselbe Thema hat er auch ein Buch geschrieben, nun erscheinen Buch und Film über die „Heimat Natur“. Darin erklärt Haft, wie Natur funktioniert, wie der Mensch sie beeinflusst; was nicht so gut läuft – und sagt, wie es besser laufen könnte. Denn Haft ist Optimist. „Es ist nicht zu spät“, sagt er. „Das ist Quark. Die Ökosysteme sind ja alle noch da.“ Sie müssen nur anders behandelt werden, findet Haft. Dazu hat er eine Idee, eine Vision. Das Experiment dazu läuft gerade direkt vor seiner Haustür, live und in Farbe.
Denn Haft glaubt nicht nur an die Natur, er kennt sie auch in- und auswendig. Schon früh fand er Gefallen an allem, was da draußen krabbelt, kriecht, schleicht und schlängelt. Den irritierten Eltern schleppte er so lange Tierchen ins Haus, bis diese begriffen, dass dies seine Leidenschaft ist, und somit begannen, sie zu fördern.
Ab da stapelten sich Terrarien in seinem Kinderzimmer, der Bub las Naturbücher, ging zu Naturschutzvorträgen und tat sich mit seinem Artenwissen hervor. Er ging schon als Jugendlicher mit einem Naturfilmer mit auf Tour, als versierter Artenkenner und -finder. Dass er selbst auch die Natur filmen könnte, darauf kam er erst nach seinem Studium der Geologie, Paläontologie und Biologie; nach den ersten Schritten in die Selbstständigkeit.
Zur selben Zeit trat eine Frau in sein Leben: Melanie. Sie wurde seine Ehefrau – und seine Produzentin. Die gemeinsame Firma Nautilusfilm ist erfolgreich, wie auch das zweite Projekt der beiden: ihr Paradies im Isental.
Einst war es ein verfallenes Bauernhaus. Mittlerweile ist es ein beeindruckendes Anwesen, das die beiden mit ihren drei Kindern bewohnen. Das Paar hat das alte Haus eigenständig restauriert, peu à peu. Wie auch den dazugehörigen Grund. „Unser Ökospielplatz“, sagt Haft. Sieben Hektar gehören mittlerweile dazu. Sie wurden so gestaltet, wie sich die Hafts Natur vorstellen: abwechslungsreich.
„Mosaikartig“, sagt Haft. An die Wasserbüffel-Weide schließt sich also ein kleines Wäldchen an, daneben liegt ein großer Teich und mehrere kleinere Tümpel, es folgt ein Bach, und dahinter liegt: die Wiese.
Die Acker-Witwenblume, das Klebrige Leimkraut, die Karthäusernelke, die Skabiose, da natürlich die Wiesenmargerite, das Immenblatt und der kleine Wiesenknopf – Haft rattert alle Pflanzenarten herunter, die hier wachsen. Es sind unzählige. Heimische, fast vergessene Arten. Dazu kommen die vielen Tierarten, die sich hier wieder angesiedelt haben. „Die Wiese ist unser artenreichster Lebensraum“, wirft Haft zwischen seine Aufzählungen schnell hinein.
Er redet wie ein Wasserfall, links die Kaffeetasse in der Hand, mit rechts zeigt er hierhin und dorthin. Er hat so viel zu sagen, zu überzeugen, zu tun. Um ihn herum strahlen farbenfroh hunderte Blüten aus dem Grün heraus, tausende Insekten schwirren umher, Bienen summen, Vögel zwitschern, im Hintergrund quaken die Frösche. Irgendwie wirkt das Ganze wie aus einer anderen Zeit.
Wie früher eben. Früher waren die bayerischen Wiesen noch artenreich. Heute sind sie quasi verschwunden. Neben dem Grundstück der Hafts reiht sich Acker an Acker, Boden für die Nutzpflanzen. „Hier, mitten im Isental, gibt es keine Orchideen, keine Trollblumen mehr“, sagt Haft. „Alles weggedüngt.“ Die Arten um uns herum verschwinden stetig. Die verbliebenen werden vom Naturschutzgesetz ängstlich beäugt. Es gibt strenge Gesetze, um bedrohte Arten schützen. „Es ist Kindern verboten, Kaulquappen zu sammeln, Federn, Muscheln; Eidechsen mit nach Hause zu bringen“, sagt Jan Haft. „Doch genau das war meine Kindheit.“
Haft versteht den Naturschutz und seine Gesetze, klar. Er versteht auch die Landwirte, es sind seine Nachbarn. „Denen wäre ja auch lieber, wenn sich etwas ändert“, sagt Haft. „Aber es müssten halt alle machen.“ Nur eine Gruppe versteht er nicht: die Politiker. „Wenn die Gestaltungsmacht der Politik ausgeschöpft werden würde, könnte sich alles ändern“, sagt Haft.
Also zurück zu seiner Idee. In ihrer Mitte stehen: Gänseblümchen und Butterblume.
Gerade aber stehen die beiden Wasserbüffel im Matsch. Ein Matsch voller Hufstapfen. In diesen Hufstapfen entstehen kleine Tümpel, darin tummelt sich Amphibien-Nachwuchs. Drum herum wuchert kein Schilf, kein Gras, kein Gebüsch; geblieben sind nur die Pflanzen, die die Büffel verschmähen, seltene Arten wie der Kriechende Sellerie. „Und ihre Kuhfladen ernähren ein Vogelnest einen ganzen Tag lang“, sagt Haft. Indirekt, denn von ihnen lebt eine Unmenge an Maden und Insekten. Auf des Büffels Weide, wenn sie denn groß genug ist, etwa ein Hektar pro Tier, haben also seltene Pflanzen- und Tierarten wieder eine Heimat.
Dem Menschen ist es zu verdanken, dass der dichte Wald in unseren Breiten einst zum großen Teil gerodet wurde und Platz machte für die Wiesen; den Weidetieren ist es zu verdanken, dass aus den leeren Flächen ein sensationeller Lebensraum wurde.
Die Leopoldina hat 2020 in einer Stellungnahme zur Biodiversität erklärt, dass solche „extensiven“ Weiden wichtig für den Erhalt der Artenvielfalt sind. Und den Wasserbüffel kann man wie alle anderen Weidetiere auch nutzen: Sein Fleisch ist dem Rindfleisch sehr ähnlich. Aber Massentierhaltung geht damit nicht mehr, klar. Doch die sieht Haft sowieso kritisch. „Vielleicht müssen wir mit unserem Standard runtergehen, den Überfluss eindämmen“, sagt er. „Wir müssen unser Verhältnis zur Natur überdenken.“ Und vielleicht auch daran glauben, dass Wasserbüffel Superhelden sein können.