Wer verhalf Hitler zur Macht?

von Redaktion

Geschichtsstunde im Landtag – die BVP als „Steigbügelhalter“

Groß war dieser Tage die Aufregung im Landtag, als der neue starke Mann der Bayern-SPD, Florian von Brunn, die CSU in die Nähe des Nationalsozialismus rückte. Die „Vorläufer der CSU“, so behauptete er, „waren die Steigbügelhalter von Adolf Hitler“. Selbst die eher bedächtige Landtagspräsidentin Ilse Aig-ner (CSU) war über den Vergleich so erbost, dass sie von Brunn eine Rüge erteilte. Die Äußerung war „inakzeptabel“, „unzutreffend“ und „eine nicht gerechtfertigte Pauschalisierung“, sagte Aigner.

Zeit für eine kleine Geschichtsstunde: Steigbügelhalter Hitlers – so bezeichnet man normalerweise die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und ihre damaligen Führer, Alfred Hugenberg und Franz von Papen (nominell lange ein Zentrums-Mann, dann parteilos). Beide waren die wichtigsten Einflüsterer des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und arbeiteten auf eine Ernennung Hitlers zum Reichskanzler hin. Dies geschah am 30. Januar 1933.

Bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 erreichte die NSDAP mit 43,9 Prozent zur Überraschung vieler Beo-bachter nicht die absolute Mehrheit – sie benötigte zur Regierungsbildung die Stimmen der DNVP (8 Prozent). Papen wurde Vizekanzler in Hitlers Kabinett, Hugenberg Superminister für Agrar und Wirtschaft. Viel Einfluss hatten sie nicht: Hugenberg trat noch 1933 desillusioniert über Hitlers totalen Machtanspruch zurück. Papen stellte sich später als Botschafter in den Dienst Hitlers.

Die Bayerische Volkspartei (BVP), die von Brunn als CSU-Vorgänger bezeichnet, war an der Hitler-Regierung indes nicht beteiligt. Man kann ihren 19 Reichstags-Abgeordneten aber vorwerfen, am 24. März 1933 dem Ermächtigungsgesetz und damit der Selbstentmachtung der Legislative zugestimmt zu haben. Ihre Stimmen waren – wenn man so will – ausschlaggebend, denn sonst hätte es nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für das Gesetz gegeben.

Die Entscheidung der BVP, diesem fatalen Gesetz zuzustimmen, reiht sich ein in eine Kette politischer Fehler. Erinnert sei nur an die Reichspräsidentenwahl von 1925, als es zu einer Stichwahl zwischen Hindenburg und dem Zentrumsmann Wilhelm März kam – und die BVP (übrigens auch der Wittelsbacher Kronprinz Rupprecht) sich für Hindenburg aussprach. „Der Marschall war Sommergast in Dietramszell und galt als Bayernfreund“, schreibt der Historiker Wolfgang Zorn. Das mag der Hintergrund gewesen sein. Angesichts des knappen Ausgangs war die BVP-Unterstützung möglicherweise entscheidend – die fatale Rolle Hindenburgs beim Untergang der Weimarer Republik ist hinlänglich erforscht.

Doch war die BVP in erster Linie bayerische Regionalpartei, auch darin gewissermaßen ein Vorläufer der CSU. Und mit Blick auf Bayern muss das Urteil differenzierter ausfallen. Bis 1923 förderte die BVP in Bayern rechtsnationale Kräfte über alle Maßen, ließ selbst antisemitische Exzesse des Generalstaatskommissars Gustav von Kahr zu.

Der Hitlerputsch am 8./9. November 1923 wirkte aber wie ein Schock. In den mittleren Jahren der Weimarer Republik koalierte die BVP mit der Bayerischen Mittelpartei, ein bayerischer Ableger der Deutschnationalen sowie dem bayerischen Bauernbund. Sie hielt sich aber von den erstarkenden Nazis fern, bekämpfte sie auch immer wieder mit Nadelstichen. Nur ein Beispiel: Am 4. Juli 1931 ließ Innenminister Karl Stützel (BVP) das „Braune Haus“ von der Landespolizei besetzen, Parteiakten wurden beschlagnahmt. Sechs Tage später erfolgte ein vorübergehendes Uniformverbot, was die SA hart traf. Die Nazis rächten sich nach der Machtübernahme in Bayern im März 1933, sie verschleppten Stützel ins Braune Haus und misshandelten ihn.

Seit 1930 und auch nach der Landtagswahl im April 1932 (NSDAP 32,5 Prozent) blieb der blasse Ministerpräsident Heinrich Held (BVP) nur mehr geschäftsführend im Amt. Sein größter Fehler war es, sich trotz der Bemühungen des aufstrebenden BVP-Youngsters Fritz Schäffer jeder Annäherung an die SPD zu widersetzen – eine Große Koalition in Bayern hätte ein Bollwerk gegen Hitler sein können.

Eine letzte Chance dazu gab es nach dem 30. Januar 1933, als Helds Landesregierung in Bayern zunächst unangetastet blieb. Statt jedoch die demokratischen Kräfte zu bündeln, ließ sich Held fatalerweise auf Gedankenspiele ein, den Kronprinzen Rupprecht zum Regenten auszurufen – die damals viel gelesenen Süddeutschen Monatshefte erschienen im Januar 1933 mit dem provozierenden Titel „König Rupprecht“. Aber die erforderlichen Schritte unterblieben – „so wurde die letzte Stunde, Bayern und damit vielleicht auch das Reich vor Hitlers Terror zu bewahren, durch Unentschlossenheit versäumt“, schrieb ein enger Wegbegleiter Rupprechts, Erwein von Aretin, später in seinen Erinnerungen. Am 9. März 1933 installierte Hitler den pensionierten Münchner General Franz von Epp als „Reichskommissar“, wenig später wehte die Hakenkreuzflagge am Münchner Rathaus.

Man sieht: Die historische Wahrheit ist differenzierter, pauschale Aussagen sind schwierig. Womöglich hat das auch SPD-Chef Florian von Brunn eingesehen. Seine Aussagen seien „unterkomplex“ gewesen, schob er in einer schriftlichen Erklärung nach. Die Rüge freilich sei unangemessen. DIRK WALTER

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