München – Sepp Braun stapft über sein Feld im Landkreis Freising und zeigt auf die Pflanzen, die er angesät hat. Spitzwegerich, Kümmel, Schafgarbe, Wilde Möhre. Die aromatischen Kräuter sind kein Futter für seine Kühe, sondern für seine wichtigsten Mitarbeiter unterhalb der Grasnarbe: die Regenwürmer. 400 Würmer pro Quadratmeter hat er auf einer seiner Flächen mal gezählt. Die Humusschicht des Ackers werde dadurch jedes Jahr um 1,5 Zentimeter dicker, sagt der Bio-Bauer. Und als lebender Pflug ersparen sie ihm das Pflügen mit der Maschine. „Ich bin ein ganz einfacher Bauer, aber eben ein ziemlich neugieriger Hund“, sagt Sepp Braun. Sein Leitmotiv für die Arbeit auf dem Bauernhof: Die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens wiederherzustellen.
Sepp Braun ist einer von fünf Protagonisten im neuesten Dokumentarfilm des Münchner Regisseurs Bertram Verhaag. Unter dem Titel „Wurzeln des Überlebens“ hat der 77-Jährige fünf Landwirte porträtiert, von denen jeder auf seine Weise neue Wege für einen sorgsamen Umgang mit der Natur eingeschlagen hat. Morgen feiert die Dokumentation im Kino Breitwand in Gauting (Kreis Starnberg) Premiere.
Neben Regenwurmflüsterer Sepp Braun lässt Verhaag etwa Mechthild Knösel zu Wort kommen, die am Bodensee entgegen der heute gängigen Praxis in der Landwirtschaft die Kälber nicht kurz nach der Geburt von den Mutterkühen trennt. Oder den österreichischen „Paradeiser-Kaiser“ Erich Stekovics, der bereits 3000 alte Tomaten-Sorten gesammelt hat. Und der Stuttgarter Landwirt Christoph Simpfendörfer gibt Einblick, wie die Mitglieder im Demeter-Verband mit sogenannten biodynamischen Präparaten arbeiten. Kritiker halten das für esoterischen Hokuspokus. Für Simpfendörfer sind die Präparate der Versuch, „die irdischen Stoffe mit den kosmischen Kräften wieder stärker in Verbindung zu bringen“.
Außerdem wird Karl Schweisfurth vorgestellt, der bis vor Kurzem in Glonn im Kreis Ebersberg die Herrmannsdorfer Landwerkstätten führte. Anlass sind die Zweinutzungshühner, die dort seit zehn Jahren gehalten und gezüchtet werden. Das sind Hühnerrassen, die sowohl zum Eierlegen als auch zur Mast geeignet sind. Schweisfurth wollte damit einen Beitrag zum Ausstieg aus dem Kükentöten leisten. „Am Anfang haben uns alle gesagt, das sei unwirtschaftlich.“ Doch mithilfe von Darlehen der Kunden finanzierten die Herrmannsdorfer Landwerkstätten die Umstellung. Heute tummelt sich die selbst gekreuzte Hühnerrasse zwischen Schweinen und Kühen und pickt am Fallobst.
Für Filmemacher Verhaag war es eine große Genugtuung, als er kürzlich im Supermarkt zum ersten Mal Eier von Zweinutzungshühnern im Regal sah. Er will die Menschen aufmerksam machen auf das, was aus seiner Sicht in der Landwirtschaft falsch läuft – und dass es Wege gebe, um die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. „Dafür lasse ich die Menschen in meinen Filmen sprechen. Ohne belehrenden Kommentar.“ Als Motor für eine Veränderung sieht er dabei nicht nur die Landwirte oder die Politik, sondern vor allem den Verbraucher selbst. „Die Konsumenten haben eine gigantische Macht, und viele wissen das gar nicht.“ Doch seit Jahren finde hier ein Sinneswandel statt – und das nicht erst, seit die Jugend wegen des Klimawandels auf die Straße gehe. „Das ist für mich die große Hoffnung“, sagt Verhaag.