Erste Hilfe für die Seele

von Redaktion

Krisendienst ab morgen rund um die Uhr in Rufbereitschaft

München – Neulich hatte Richard Hörtlackner eine 17-Jährige am Telefon. Sie weinte, war völlig verzweifelt wegen des großen Drucks, ein Einser-Abi schreiben zu müssen. Ihre Eltern hatten ihr gesagt, ohne Einser-Abi habe man im Leben schon verloren. An diesem Tag wurde ihre Angst zu versagen so groß, dass sie die Nummer des Krisendienstes wählte und bei Hörtlackner in der Leitstelle landete. Er schickte ein mobiles Einsatzteam. Schon das Gespräch half der 17-Jährigen. „Manchmal geht es einfach darum, dass jemand zuhört, Verständnis hat, dass man gemeinsam eine Perspektive findet“, sagt er.

In eine psychische Krise könne jeder geraten, betont Oberbayerns Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU). Und zu jeder Uhrzeit. Um in diesen Situationen zu unterstützen, haben die Bezirke vor drei Jahren mit dem Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz den Krisendienst geschaffen. Unter der Nummer 0800/655 3000 bekommen Betroffene sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag Hilfe. Und ab morgen ist in Oberbayern nicht nur die Nummer immer erreichbar. „Auch unsere mobilen Teams können nun rund um die Uhr ausrücken, wenn sie gebraucht werden“, sagt Mederer. Das ist ein Meilenstein, auf den er stolz ist. Er war lange genug im Rettungsdienst tätig, um zu wissen, dass jeder in eine seelische Notlage geraten kann. „Krisen schauen nicht auf die Uhr“, sagt er. Der Gedanke, dass jemand um 2 Uhr nachts in einer Notsituation allein ist, vielleicht sogar über Suizid nachdenkt und keine Anlaufstelle findet, treibt ihn seit Jahren um. Deshalb ist Mederer froh, dass zumindest oberbayern-weit nun niemand mehr allein Krisen durchstehen muss. Auch in den anderen sechs Bezirken ist die Nummer bereits rund um die Uhr erreichbar. Bis auch die mobilen Teams überall durchgehend angefordert werden können, wird es noch ein paar Monate dauern, prognostiziert Mederer.

Hinter diesem Angebot steht ein gewaltiger Personal-Stamm. Rund 800 Menschen sind in Oberbayern im Krisendienst beschäftigt. Alle haben eine fachliche Ausbildung, die meisten von ihnen gehen tagsüber ihrem Beruf nach und sind in ihrer Freizeit in Rufbereitschaft.

Aktuell rücken die mobilen Teams in ganz Oberbayern rund sieben Mal am Tag aus. Bei etwa 80 Prozent der Fälle hilft bereits ein Telefonat. Die Zahl der Hilfesuchenden habe in den Pandemie-Monaten enorm zugenommen, berichtet Mederer. Vor einem Jahr waren es rund 140 Anrufer pro Tag, im Mai 2021 deutlich über 200. „Die Zahl der Anrufe steigt oft sprunghaft, wenn eine Hiobsbotschaft verkündet wird“, hat Mederer beobachtet. Gerade in der Lockdown-Zeit habe vielen Menschen ein Ansprechpartner für ihre Sorgen und Nöte gefehlt, berichtet er. „Schon ein Telefonat kann sehr stabilisierend wirken“, sagt er.

Die Mitarbeiter des Krisendienstes versuchen zu deeskalieren. In den allermeisten Fällen seien die Betroffenen nach einem Gespräch bereit, sich helfen zu lassen. „Zwangseinweisungen sind das allerletzte Mittel“, betont Mederer.

Aufgefallen ist ihm auch, dass in den vergangenen Monaten die Anfragen von jungen Menschen stark zugenommen haben. Er möchte deshalb die Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe noch weiter verdichten. „Die Angebote reichen noch nicht aus“, sagt er. Auch was die Finanzierung angeht, hat er noch Nachbesserungswünsche

Der Bezirk Oberbayern finanziert seinen Krisendienst mit 13,2 Millionen Euro, der Freistaat beteiligt sich mit 3,2 Millionen. „Nur die Krankenkassen lehnen bisher noch eine Beteiligung ab.“ Er werde nicht aufgeben, dafür zu kämpfen, auch sie ins Boot zu holen. Die Zusammenarbeit mit den karitativen Verbänden in Bayern hingegen könnte nicht besser sein, betont er. KATRIN WOITSCH

Der Krisendienst

ist bayernweit rund um die Uhr unter der Nummer 0800/6553000 erreichbar.

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