Verkehrsverbände kämpfen um Fahrgäste

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München – Es ist wie verhext, sagt Bayerns Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU). „Man kann noch so oft betonen, dass in einem Bus alle drei Minuten ein kompletter Luftaustausch stattfindet, und noch so oft, dass die S-Bahnen drei Mal täglich gereinigt werden“ – doch das „subjektive Empfinden“ einer hohen Ansteckungsgefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln sei trotzdem vorhanden.

Auch verschiedene Studien über die objektiv geringe Ansteckungsgefahr in Bussen und Bahnen haben die Vorbehalte bei einem Teil der Bevölkerung nicht ausräumen können. Bisher seien je nach Region erst 40 bis 65 Prozent der Fahrgäste aus der Vor-Corona-Zeit zurückgewonnen worden, schätzt der VDV. Teilweise sind es sogar noch weniger – die Alex-Züge nach Prag zum Beispiel haben erst 15 bis 20 Prozent des Vor-Corona-Niveaus erreicht. Der Verband will nun mit einer Kampagne „#BesserWeiter“ gegensteuern. Neben Werbung geht es auch um neue Ticket-Angebote – nur mit einer kräftigen Steigerung der Fahrgastzahlen, so sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bei einem vom VDV organisierten Online-Pressegespräch, seien die Klimaziele einzuhalten. Ein Selbstläufer ist der Bahnverkehr indes nicht mehr. „Auch wir müssen wieder für uns werben“, sagte MVV-Chef Bernd Rosenbusch.

Wie prekär die Lage ist, zeigt eine Untersuchung des DLR-Instituts für Verkehrsforschung in Berlin, das mehrere Umfragen durchführte. Demnach waren es im Winter 2020 nur drei Prozent der Befragten, die angaben, sie würden wegen der Ansteckungsgefahr „nie mehr“ den öffentlichen Personennahverkehr nutzen. Bis April/Mai dieses Jahres ist der Anteil auf zwölf Prozent gestiegen. Umgekehrt gaben nur noch 52 Prozent an, sie würden „wie bisher“ Busse und Bahnen nutzen. Im Winter waren es noch 63 Prozent.

Noch eine Zahl: Über die Hälfte der Befragten erklärte, sie sei mit der Arbeit im Homeoffice zufrieden und werde das – soweit möglich – auch weiter tun. Professorin Barbara Lenz, die die Untersuchung leitet, geht auch davon aus, dass die ÖPNV-Nutzung zugunsten des Pkw sinkt. Sie sprach von „neuen Routinen der Mobilität“, die sich in der Pandemie eingeschliffen hätten und womöglich beibehalten würden.

Folge sinkender Fahrgastzahlen sind fehlende Gelder. Ein neues Leistungskosten-Gutachten des VDV kommt zu dem Ergebnis, dass die Kosten des öffentlichen Personennahverkehrs bis 2030 um 90 Prozent steigen könnten – die Erlöse jedoch nur um 50 Prozent. Daraus ergebe sich eine Finanzierungslücke von elf Milliarden Euro jährlich, warnte Ingo Wortmann, VDV-Präsident und zugleich Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG). Wie diese Lücke geschlossen werden könnte, dazu gibt es im Moment nur vage Ideen – sicher aber nicht durch satte Steigerungen bei den Ticketpreisen. „Wir werden das nur über eine Steuerfinanzierung leisten können“, sagte der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), der derzeit Präsident des Deutschen Städtetags ist. Er sprach von einem „Solidartopf“, in den insbesondere Bund und Länder einzahlen müssten.

Dies ist auch wichtig, weil viele Verkehrsverbünde in der Experimentierphase stecken. Der MVV testet gerade mit mehreren tausend Gelegenheitsfahrern einen direkten Entfernungstarif („swipe and ride“). Beim Busverkehr von DB Regio Bayern ist ein Zehn-Arbeitstage-Ticket in der Entwicklung. Man will neue Kundengruppen gewinnen, sagte Bus-Chef Stephan Kühn. In den Ballungsräumen soll das 365-Euro-Jahresticket auch für Studierende eingeführt werden, wie Schreyer ankündigte. Einen Zeitplan gibt es dazu allerdings noch nicht – es ist eine Frage des Geldes, denn ein hoher staatlicher Millionenzuschuss wäre erforderlich. Von Bundesverkehrsminister Scheuer kam zu all diesen Ideen kein grundsätzliches Nein. Das Thema „wer macht was“ müsse aber nach der Bundestagswahl geklärt werden.

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