Kommende Woche soll ein Urteil fallen, ob Frauen beim Fischertag in Memmingen künftig mitfischen dürfen. In erster Instanz hatte die Klägerin bereits Recht bekommen. Doch der Fischereiverein will den alten Brauch nicht ändern. Dabei leben Traditionen vom Wandel, betont Daniela Sandner vom Landesverein für Heimatpflege. Im Interview erklärt sie, warum Veränderungen so wichtig sind.
Die Memminger streiten vor Gericht, ob Frauen Stadtbachfischer sein dürfen. Was sagen Sie als Frau und Brauchtumsexpertin dazu: Müssen einige Bräuche an unsere heutige Zeit angepasst werden?
Natürlich müssen sich Bräuche und Traditionen anpassen dürfen. Historisch gesehen haben sie sich immer verändert – weil sich ja auch die Gesellschaften und Weltanschauungen verändert haben. Wenn man nicht erlauben würde, dass sich Bräuche verändern, besteht die Gefahr, dass sie an Relevanz verlieren. Oder nur noch für eine Gruppe relevant sind. In Memmingen geht es um ein Stadtfest, das für viele Bürger von Bedeutung ist, unabhängig vom Geschlecht. Da muss die Debatte, ob der Brauch an unsere Zeit angepasst werden darf, erlaubt sein.
Warum sind die Frauen dort früher überhaupt ausgeschlossen worden?
Der Brauch des Fischerfests stammt so wie wir ihn kennen aus dem 19. Jahrhundert. Die bürgerliche Gesellschaft war damals sehr stark von der Geschlechtertrennung geprägt. Frauen und Männer hatten unterschiedliche Aufgaben. Die Männer traten eher im öffentlichen Raum auf, die Frauen im familiären. Damals war es undenkbar, dass Frauen in den Stadtbach springen. Heute ist das natürlich anders, Frauen dürfen an allen sozialen Bereichen teilhaben. Und es ist immer nur eine Frage der Zeit, bis sich ein gesellschaftlicher Wandel auch in Bräuchen manifestiert.
Ist das immer mit so großen Emotionen verbunden wie in Memmingen?
Viele Menschen tun sich schwer mit der Veränderung von Bräuchen. Sie gelten als verlässlich und bieten Orientierung im Leben – selbst wenn sich alles andere wandelt. Deshalb sind die Emotionen manchmal groß. Es wäre natürlich schöner, wenn so ein Fall nicht vor Gericht ausgestritten werden müsste. Dafür ist eine gewisse Offenheit nötig. Oft wird argumentiert, ein Brauch sei schon immer so gewesen. Das stimmt aber nicht.
Das heißt, Bräuche sind immer im Wandel?
Jede Tradition war einmal eine Innovation. Alles hat irgendwann einmal begonnen. Beim Fischertag war der Grund dafür das Bachausfischen. Irgendwann wurde ein richtiges Stadtfest daraus. Der Brauch geht auf das Jahr 1597 zurück – und war sicher nicht immer so wie heute.
Ist es nicht auch ein gutes Zeichen, wenn um einen Brauch so leidenschaftlich diskutiert wird? Er muss ja dann viel wert sein…
Das stimmt. Um einen Kompromiss zu finden, braucht es ein bisschen Entspanntheit. Im Kern geht es ja meistens um Lebensfreude, Miteinander und Verbundenheit. Bräuche sterben durch Veränderung nicht aus. Im Gegenteil, sie werden zukunftsfähig. Vereine, die ihre Bräuche nicht anpassen, finden vielleicht irgendwann keine Mitglieder mehr.
Gibt es auch ganz zeitlose und geschlechtergerechte Bräuche?
Es gibt natürlich Bräuche, die nicht vereinsmäßig organisiert sind. Zum Beispiel viele kirchliche Bräuche, die von Gläubigen ausgeführt werden. Aber auch sie folgen oft einer geschlechtertypischen Arbeitsteilung. Männer machen an Fronleichnam zum Beispiel den Aufbau des Altars, die Frauen legen die Blumenteppiche an. Sehr neue Bräuche wie zum Beispiel der Abistreich oder Halloween sind wirklich geschlechterneutral.
Warum stellen wir Bräuche heute mehr infrage als noch vor ein paar Jahrzehnten?
Vermutlich, weil es heute vielfältigere Lebensentwürfe gibt. Früher wurde man in ein gesellschaftliches Umfeld hineingeboren, das verbindlich war. Hinzu kommen Prädikate wie das immaterielle Kulturerbe der UNESCO. Wenn ein Brauch in diese Liste aufgenommen werden soll, darf es keine Diskriminierungen geben. Der Memminger Fischertag hätte in seiner jetzigen Form keine Chance. Und traurigerweise sind wir wohl erst seit ein paar Jahren so weit, dass Frauen gegen geschlechtliche Diskriminierung protestieren.
Dürfen auch kirchliche Traditionen neutraler werden? Darf ein Martinsumzug ein Lichterfest werden?
Natürlich sind kirchliche Traditionen nicht neutral. Trotzdem kann man kreative Lösungen finden. Denn auch bei religiösen Bräuchen steht natürlich das Miteinander im Vordergrund. Es muss zumindest einen Diskurs darüber geben dürfen.
Interview: Katrin Woitsch