Manchmal Prellbock der Nation

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München – Sie erleben ganz Deutschland auf Reisen. Normalbürger und Wutbürger, Gestresste und Relaxte. Promi-Faktor inklusive. Michaela Naumann aus Moosburg (Kreis Freising) ist wie ihre Kollegin, die Münchnerin Marika Krause, seit 1990 bei der Bahn. Ihr offizieller Status ist der einer „Eisenbahnerin im Betriebsdienst“, aber das klingt jetzt schon sehr technokratisch. Als Zugbegleiterinnen kümmern sie sich um das Wohl der Fahrgäste, kontrollieren Fahrkarten und servieren Kaffee in der 1. Klasse. Für das Image der Bahn sind freundliche Servicekräfte unentbehrlich. „Man soll schön reisen können“, das ist der Auftrag.

In jedem ICE gibt es zwei Begleiter oder Begleiterinnen sowie eine/n Zugchef/-chefin. Letztere hat Sonderkompetenzen, kann zum Beispiel Fahrgäste im überfüllten Zug von der 2. in die 1. Klasse schicken. Oder bei Verspätungen mit der Leitzentrale Kontakt aufnehmen und darum bitten, dass Anschlusszüge im nächsten Bahnhof warten.

Angefangen haben die beiden Zugbegleiterinnen nicht im ICE, sondern bei der Münchner S-Bahn. Da war Anfang der 1990er-Jahre noch einiges anders als heute. Marika Krause fuhr im Führerstand bin, musste das früher typische „Zurückbleiben bitte“ per Mikrofon durchsagen. So richtig prickelnd war das auf die Dauer nicht. „Einmal bin ich 23 Mal zwischen Pasing und Ostbahnhof hin und her gefahren.“ Da ging sie zum Fernverkehr. Meist fährt sie von München aus nach Stuttgart, Salzburg oder Innsbruck – und am selben Tag zurück. Manchmal auch nach Berlin – „eine schöne Strecke“. Ein bis zwei Mal im Monat sind Übernachtungen nötig, weil die Retourfahrt erst am nächsten Tag stattfinden kann.

Wie in einer Wirtschaft gibt es auch in der Bahn Stammgäste. „Auf der Kufstein-Strecke der Grauhaarige“, sagt Naumann. Stimmt, sagt Krause. Den kennt sie auch. Manche Pendler bringen der Zugbegleiterin eine Breze mit. „Schön ist das dann“, sagt Naumann. Und manchmal entdecken die beiden auch bekannte Gesichter im Zug. Franz Müntefering, Theo Waigel, Waldemar Hartmann, Ottfried Fischer, sprudelt es aus Marika Krause heraus. Michaela Naumann kann mithalten: Senta Berger, Katja Ebstein, Thekla Carola Wied und Annemarie Wendl alias Else Kling. Um ein Autogramm würden sie nie bitten – „das macht man nicht.“

Zugbegleiterinnen sind ein bisschen Prellbock der Gesellschaft – im Guten wie im Schlechten. Wie oft sie im Beruf schon angeraunzt wurde, weiß Michaela Naumann nicht mehr. Erst neulich geigte ihr eine Dame die Meinung, weil der Zug Verspätung hatte – als ob die Zugbegleiterin etwas dafür könnte. Sie bleibt dann höflich, erklärt die Situation. Das ist nicht immer leicht, wenn – wie kürzlich – der Zug wegen Unwetters mehrere Stunden in Rosenheim festhängt.

Corona macht den Job nicht einfacher. Marika Krause hatte erst kürzlich eine ganze Familie, die den Mund-Nasen-Schutz „demonstrativ“ nicht trug. Ihr Zugchef holte schließlich die Polizei, die Masken-Verweigerer mussten aussteigen. Aber es gibt auch ganz andere Erlebnisse. Menschen, die sich bei der Zugbegleiterin die Probleme vom Leib reden. „Manche schütten ihr Herz aus“, sagt Krause. Einmal, sagt die Zugbegleiterin, sprach sie eine ältere Frau an: Der Sohn war gestorben. „Da habe ich mir Zeit genommen“, sagt Marika Krause. „Am Ende liefen dann die Tränen.“

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