Der Reformator aus Reisbach

von Redaktion

Ministrant, Oberministrant, Minister: Über die ungewöhnliche Karriere von Erwin Huber, der heute 75 wird

Reisbach – Das Handy klingelt und klingelt, nach dem achten Tuten meldet sich ein japsender Erwin Huber. Er ringt nach Luft, abgekämpft, aber fröhlich. Beim Radlfahren ist er, eine kleine Tour durch Niederbayern und, nein, jetzt passt es gerade nicht.

Nanu: Wer Huber bisher ungelegen kam, störte vielleicht beim Aktenstudium, in der Landtagssitzung, früher auch mal beim Termin mit Merkel im Kanzleramt, aber nie im Privatleben. Der Niederbayer war irgendwie immer im Dienst für die CSU, mit eiserner Disziplin und kaum erschöpflicher Energie, ein halbes Jahrhundert. Freilich, 2018 hatte er in einem Interview zu seinem Abschied aus dem Landtag mal was von Hobbys gemurmelt, Radfahren, Studium, Klavier lernen. Aber wer konnte ahnen, dass er das ernst meint?

Doch, Huber ist nun im Ruhestand, heute wird er 75. Es ist eine in der Politik außergewöhnliche Karriere, auf die er zurückblickt, selbst in der CSU. „Ministrant, Oberministrant, Minister“ hat er sie mal zusammengefasst, das ist lustig, aber untertrieben. Seine Geschichte ist die eines Sohns einer alleinerziehenden Landarbeiterin aus dem damals bettelarmen Niederbayern. Der einer der mächtigsten Politiker des Landes wurde. Chef der CSU. Und alle wieder verlor oder abgab, eines nach dem anderen, und das in großer Würde.

Der gelernte Finanzinspektor Huber, 1973 Abitur auf dem Abendgymnasium nachgeholt, später Diplom-Volkswirt, erkämpfte sich 1978 das Landtagsmandat in Dingolfing, er behielt es vier Jahrzehnte lang. In dieser Zeit wurde er nach- und durcheinander Generalsekretär der CSU, Staatskanzleichef, Finanzminister, Wirtschaftsminister. Er spürte die Härten der Politik, als er Edmund Stoibers rigiden Sparkurs durchboxte, Bayerns brave Beamte demonstrierten gegen ihn. Er nutzte die Härten der Politik, als er 2007 im Duo mit Günther Beckstein den taumelnden Stoiber eiskalt stürzte. Und erlebte seine härteste Zeit, als er schon 2008 nach der CSU-Wahlklatsche zurücktreten musste, das blutrote Landesbank-Desaster an den Hacken.

Das Wundersame an Huber war der Gleichmut im Auf- und Abstieg. „Mein Zahnarzt sagt, ich sei indolent“, also schmerzunempfindlich, erklärte er vor vielen Jahren schon. Die Schmerzgrenze für viele Politiker läuft da, wo sie nach dem Rücktritt auf etwas verzichten müssten – dann ziehen sie sich pikiert ganz zurück. Huber nicht. Er machte 2008 als Landtagsabgeordneter weiter, leitete den Wirtschaftsausschuss im Parlament. Nie mehr die schneeweiße Minister-Limousine, sondern im Nieselregen an der Trambahnstation Maximilianeum warten, klaglos und freudvoll.

Respekt und Häme lernte Huber also kennen, heute überwiegt ersteres. Er gilt als einer der Väter des ausgeglichenen Haushaltes. Obwohl (oder weil) der inzwischen über Bord geworfen wurde, denken viele sehnsüchtig an die Generation der 90er-Minister zurück, kantige, profilierte Figuren mit eigener Meinung: Beckstein, Huber, Faltlhauser, Stamm, Stewens und Wiesheu zum Beispiel. Die einstecken können und selbst austeilen, aber mit offenem Visier, nicht mit Getuschel hintenrum.

Das Telefon klingelt. Huber ruft zurück, die 40-Kilometer-Tour ist vorbei. „Also, ich fühl mich jugendlich, frisch“, sagt er, aber nicht übermütig: „Das ist Gottes Gnade.“ Er erzählt vom Philosophie-Studium, sechstes Semester, eine Hausarbeit fehlt noch zum Abschluss. Er spricht von seinem Rückzug aus der Politik, von der ihm immer auch klar war, dass sie süchtig macht nach Publicity und Einfluss. Geordneter Rückzug deshalb, kein Bruch. Im Kreistag Dingolfing ist er ja noch als Kommunalpolitiker, und dies seit 1972. Womit auch die Frage geklärt wäre, wie er heute seinen Geburtstag verbringt: Am Nachmittag ist Kreistagssitzung.

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

„Ich fühl mich frisch. Das ist Gottes Gnade.“

Artikel 1 von 11