München – Albrecht Schnabel ist nicht nur selbst leidenschaftlicher Bücher- und CD-Sammler – er hat sich auch wissenschaftlich mit dem Thema befasst. Er erklärt, warum wir alle irgendwann im Leben etwas sammeln – und warum wir daran so viel Freude haben.
Sammelt jeder Mensch?
Mehr oder weniger ja. Das Sammeln ist etwas typisch Menschliches. Wir versuchen uns abzusichern gegen alle möglichen Gefahren, wir planen gerne voraus – das ist ein Grundmotiv. Das Sammeln befriedigt unser Sicherungsbedürfnis. Insofern sammelt jeder Mensch, manche natürlich auch Immaterielles wie Begegnungen oder Urlaube.
Was sind die kuriosesten Sammlungen, von denen Sie gehört haben?
Einige Sammler sind hochstrukturiert – und manche stellen ihre Sammlungen gerne auch der Öffentlichkeit zur Verfügung. Ich habe von einer Barbie-Sammlung in den eigenen Wohnräumen gehört, die auch Fremde besichtigen dürfen. Es gibt Klodeckel-Sammlungen – und sogar einen Sammler für diese alten, runden Mülltonnen. Er hat jedes Modell einmal. Wenn die Sammlung komplett ist, will er sie stiften. Die meisten sammeln natürlich eher als Hobby. Zum Beispiel schöne Kleidung, Bücher, CDs oder Kaffeekannen.
Sammeln Kinder anders als Erwachsene?
Grundsätzlich ist das Sammeln keine Altersfrage – eher hängt es vom Platz ab. Aber Kinder sammeln tatsächlich ein wenig anders als Erwachsene. Der materielle Wert einer Sammlung spielt für sie eine geringere Rolle. Für Erwachsene ist es wichtiger, ob man etwas wiederverkaufen kann, wie hoch der Einkaufswert war oder ob sich ein Wert gesteigert hat. Aber natürlich geht es auch bei Kindern schon um die Frage, ob man die schönste Sammlung hat. Das bekommt man in unserer Wettbewerbsgesellschaft früh beigebracht.
Sagt das, was wir sammeln, etwas über unsere Persönlichkeit aus?
Sammeln ist immer eine Mischung aus Zufall und der eigenen Persönlichkeit. Oft steht zum Beispiel ein Geschenk am Anfang. Dazu kommen Vorbilder, Gelegenheiten, manchmal auch ein Erbe. Das muss aber immer zu einer Persönlichkeit passen. Kinder können sich das Sammeln zum Beispiel von ihren Eltern abschauen. Oft aber auch mit dem Wunsch, sich abzugrenzen – durch ein eigenes Thema.
Haben die Menschen schon immer gesammelt?
Es gab ja schon die Jäger und Sammler, damals hatte das Sammeln etwas Existenzielles. Richtig begonnen hat es aber, als die Menschen sesshaft wurden. Selbst Tagelöhner, die nur einen kleinen Bereich für sich hatten, haben Dinge angesammelt. Das hängt mit dem Wunsch zusammen, sich etwas zu sichern, nach harter Arbeit etwas übrig zu haben.
Das Motiv fürs Sammeln hat sich also im Laufe der Zeit verändert?
Natürlich sind viele Menschen heute wohlhabender, sammeln ist für viele ein Luxus. Zu dem Sicherungsbedürfnis kam auch noch ein Spielmotiv. Sammeln hat eine Leichtigkeit, die bei Kindern sehr verankert ist, im Laufe des Lebens aber immer mehr verloren geht. Sammeln befriedigt unser Bedürfnis nach Lockerheit, Begegnung auf Augenhöhe, sich freuen an der Freude des anderen. Deshalb gibt es auch viele Erwachsene, die Panini-Bilder sammeln.
Es geht also weniger ums Fertigwerden, sondern um das Sammeln an sich?
Da sind Sammler sehr unterschiedlich. Einige setzen sich als Ziel, eine Sammlung komplett zu bekommen. Bei den meisten geht es aber eher um die Freude des Erwerbens und Tauschens, um Begegnungen mit anderen Sammlern. Wer sich mehr auf den Sammel-Prozess konzentriert, ist oft etwas glücklicher. Je mehr das Materielle reinspielt, desto ernster wird das Sammeln.
Gibt es Sammler, denen gar nicht bewusst ist, dass sie sammeln?
Ja, die gibt es sicher. Wer allein vor sich hinsammelt, sagt vielleicht über sich: Ich mag halt Schallplatten. Es ist natürlich auch eine Frage der Definition, ob vier oder fünf Lieblingsstücke schon eine Sammlung sind.
Wie hat die Digitalisierung unser Sammelverhalten verändert?
Die Digitalisierung wird unser Sammelverhalten wohl sehr verändern – hat sie auch schon. Digital gibt es keine Endlichkeit – und was unendlich ist, ist nicht so viel wert. Ein Beispiel wären Fotos. Vielleicht wird es irgendwann weniger objekthafte Sammler geben. 500 Netzwerkpartner können auch eine Sammlung sein. Zumal junge Menschen auch deutlich weniger Platz haben. Vielleicht geht das Sammeln auch eher in eine Miniaturisierung – also winzige, schöne Sachen.
Interview: Katrin Woitsch