München – Günther Starabin ist Trambahnfahrer – in zwei Welten. Tagsüber lenkte er bis vor Kurzem eine hochmoderne Straßenbahn durch das München des 21. Jahrhunderts, sah seine Fahrgäste in ihre Handys tippen, hörte die Fahrkartenautomaten in der Bahn Tickets ausspucken. Aber dann gibt es noch die zweite Welt. In seiner Wohnung haben die Münchner Trambahnen die Gegenwart noch nicht erreicht. Dort scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.
Der 60-Jährige besitzt Fahrermützen, die teilweise 80 Jahre alt sind. „Alle fabrikneu“, sagt er stolz. Er hat alte Fahrscheinblöcke, mit denen die Schaffner damals durch die Bahnen liefen – und natürlich jede Menge alte Papiertickets. Wunderschön seien die, betont er. Oft war das gesamte Streckennetz darauf abgedruckt. Kein Vergleich mit den heutigen, langweiligen Tickets, findet er.
Starabin hat noch viel mehr Schätze aus der Vergangenheit gerettet: eine Schaffner-Tasche zum Beispiel. Oder alte Fahrzeitmesser, die den Fahrern bis 1978 anzeigten, ob sie im Zeitplan liegen. Er hat Miniatur-Trambahnen, Alben-weise alte Postkarten und Fotos mit Trambahn-Motiven – und dann gibt es auch noch zwei Schätze, auf die er ganz besonders stolz ist. Eine gravierte Taschenuhr aus dem Jahr 1902. „Ein Geschenk für einen Trambahnfahrer zur silbernen Hochzeit“, erzählt er. Um die Jahrhundertwende legten sich die Arbeitgeber noch für ihre Mitarbeiter ins Zeug, sagt er, schmunzelt und zeigt einen weiteren Beweis dafür: noch einen Schatz seiner Sammlung. Ein Bierkrug mit Trambahn-Motiv aus dem Jahr 1892. „Die sind damals zu Dienstjubiläen verschenkt worden.“
Ist natürlich nicht leicht, einen 129 Jahre alten Krug zu finden. Erst mal muss man wissen, dass es so was gibt. Als Trambahn-Schatzsucher ist Günther Starabin in dieser Hinsicht natürlich Profi. Und dann hat ihm das Glück noch etwas geholfen. Und seine Sammler-Strategie: Er gibt beinahe wöchentlich Kleinanzeigen auf und bittet darum, ihm alles anzubieten, was mit der Vergangenheit der Münchner Trambahnen zu tun hat (Kontakt unter 089/314 21 46 oder starabin@ icloud.com). „Sehr viele Nachkommen von ehemaligen Fahrern oder Schaffnern haben noch Schätze im Keller oder auf dem Dachboden“, erzählt er. „Es wäre doch zu schade, wenn die eines Tages im Müll landen würden.“
Auch er musste natürlich erst mal mit dem Trambahn-Fieber infiziert werden. 1997 war das, damals machte er grade den Trambahn-Führerschein. Als er einmal ins Fahrlehrerbüro kam, entdeckte er dort eine Vitrine mit alten Trambahn-Stücken. Eine Mütze, eine Tasche. „So was will ich auch“, dachte er sich. Er konnte ja damals nicht ahnen, wo das alles hinführen würde.
Heute hat er in seiner Münchner Wohnung eine Art Privatmuseum. Und über jedes einzelne Stück Trambahngeschichte kann er sich aus tiefstem Herzen freuen. Besonders jetzt, seit er aus gesundheitlichen Gründen in Frührente gehen musste. Manchmal sitzt er noch als Fahrgast in der Tram und freut sich an der Gegenwart – bevor er dann zu Hause wieder auf Zeitreise geht. Neulich ist ihm eine schöne Idee gekommen. Er hat von sich selbst eine Miniatur-Kunststoff-Figur anfertigen lassen, die er in seine historische Miniatur-Trambahn gesetzt hat. „So ist mir doch noch auch körperlich der Weg in die Vergangenheit gelungen“, sagt er und lacht.
Günther Starabin ist in Sammler-Kreisen gut vernetzt, neulich hat er von einem Zwölfjährigen gehört, der mit dem Sammeln begonnen hat, weil er sich so für alte Trambahnen begeistert. Ein schöner Gedanke, dass es weitergehen wird und die Geschichte der Trambahn nicht in Vergessenheit gerät, findet er. Spätestens seit er von dem Zwölfjährigen weiß, macht er sich um die Zukunft der Vergangenheit keine Sorgen mehr.