„Pionier der Verständigung“

von Redaktion

Vor 75 Jahren gründeten Vertriebene die Ackermann-Gemeinde

Nach 1945 waren die Vertriebenen bei vielen ihrer westdeutschen Landsleute alles andere als willkommen. „Geht doch dahin zurück, wo ihr hergekommen seid“, mussten sie sich anhören. Als „Rucksackdeutsche“ wurden die Habenichtse verspottet – und eher widerwillig in beschlagnahmten Wohnungen einquartiert.

Als Folgelast des verlorenen Kriegs waren allein in Bayern bis 1950 fast zwei Millionen Menschen aus dem Osten unterzubringen. Sowjetherrscher Josef Stalin setzte darauf, dass die gewaltsame Bevölkerungsverschiebung die Besatzungszonen seiner einstigen Alliierten destabilisieren würde. Dass es anders kam, ist auch Vereinigungen wie der christlichen Ackermann-Gemeinde zu verdanken, die vor 75 Jahren in München entstand. Es gibt sie heute noch in allen bayerischen Diözesen, rund 4500 Mitglieder stark, zwei Drittel davon in Bayern, wie Geschäftsführer Matthias Dörr sagt. Die Ackermann-Gemeinde sieht sich als „Pionier der Verständigung“ und war auf Versöhnungskurs mit der Tschechoslowakei, als viele Funktionäre der Sudetendeutschen Landsmannschaft davon noch nichts wissen wollten.

Ackermann ist eine literarische Figur aus dem 14. Jahrhundert („Der Ackermann aus Böhmen“) – grob vereinfacht führt der Ackermann ein Zwiegespräch mit dem Tod, muss am Ende aber akzeptieren, dass das Schicksal unabänderlich ist. „In dieser Situation haben sich die Gründer der Ackermann-Gemeinde wiedergefunden“, sagt Dörr.

Kirchliche und politische Pioniertaten für die Heimatvertriebenen sind mit den Namen des Augustinerpaters Paulus Sladek und dem CSU-Politiker Hans Schütz verbunden. Sladek war in Böhmisch Leipa aufgewachsen, er hatte deutsche und tschechische Verwandte – und er war überzeugt: Nur ein Bekenntnis der eigenen Schuld und eine Bitte um Vergebung, beiderseitig ausgesprochen, könnte Deutsche und Tschechen frei machen für einen Neuanfang.

In München traf der Pater im Herbst 1945 einen alten Freund aus Zeiten der CSSR, den christlichen Gewerkschafter Hans Schütz. Gemeinsam bildeten sie die Keimzelle der Ackermann-Gemeinde. Beide griffen ihren Schicksalsgenossen nicht nur materiell unter die Arme, sie warben auch dafür, „nicht auf gepackten Koffern sitzen zu bleiben“, sich in der neuen Heimat zu engagieren und den eigenen Anteil am erlittenen Unrecht nicht auszublenden. So wirkten sie Verbitterung und Revanchegelüsten entgegen.

Dieser kirchliche Beitrag zum inneren Frieden in der jungen Bundesrepublik wurde lange übersehen. Auch in der eigenen Kirche gab es Vorbehalte. „Böhmisch-katholisch“, nicht römisch-katholisch seien die Zuzügler, hieß es da, und das war abschätzig gemeint.

Die Ackermann-Gemeinde unterstützte auch verfolgte Christen in der CSSR. Der Schmuggel von Bibeln, theologischen Fachbüchern und sogar von Kopiergeräten war seit den 1960er-Jahren ein riskantes Unterfangen. Von der Förderung profitierten mehr als 1200 Priester hinter dem Stacheldraht. Nach dem Wendejahr 1989 ließ sich an diese Kontakte anknüpfen. 1991 richtete die Ackermann-Gemeinde ein Verbindungsbüro in Prag ein; daraus erwuchs die tschechische „Sdruzeni Ackermann Gemeinde“.

Deren Vorsitzender ist heute der christdemokratische Politiker Daniel Herman, ein laisierter Priester und einstiger Sprecher der tschechischen Bischofskonferenz. 2016 hielt Herman als tschechischer Kulturminister beim Sudetendeutschen Tag in Nürnberg eine historische Rede. Auf Deutsch drückte er sein Bedauern über die Vertreibung aus. Für seine Verdienste wurde Herman kürzlich beim Sudetendeutschen Tag in München mit dem Europäischen Karlspreis der Landsmannschaft ausgezeichnet.

Den Sudetendeutschen Tag nutzte die Ackermann-Gemeinde auch, um über einen in ihren Kreisen besonders heiß diskutierten Fall aufzuklären: Dem Theologen Josef Beran, ein ehemaliger Häftling im KZ Dachau und seit 1946 Prager Erzbischof, wurde untergeschoben, er sei deutschfeindlich. Zwei Historiker haben nun aber nachgewiesen, dass Beran von einem Pfarrer, der in Verbindung mit dem tschechoslowakischen Geheimdienst stand, verleumdet worden war. Die Kirche und insbesondere Beran, so sagte der Historiker Manfred Heerdegen, habe die Vertreibung nicht verhindern können. Auch historische Aufklärung, so sagt Geschäftsführer Dörr, ist ein Teil der Versöhnung.

Diesen Samstag will die Ackermann-Gemeinde ihr Jubiläum in Prag feiern: mit einem bunten deutsch-tschechischen Picknick auf dem Vysehrad. „Es ist so viel an Miteinander und Versöhnung gewachsen, das wollen wir auch zeigen“, sagt Dörr.

CHRISTOPH RENZIKOWSKI DIRK WALTER

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