Reichersbeuern – Der Anruf kommt in der Pause. Klaus Steinbacher, damals 18, steht auf der Bühne des Trachtenvereins in Reichersbeuern. Er spielt einen jungen Burschen, der am Stammtisch einschläft und einen schrägen Traum hat. Geschrieben hat das Stück sein Vater, der für Laienspiel und Brauchtum im Verein zuständig ist. Der genauso heißt wie sein Sohn. Als der Vorhang fällt, klingelt das Handy. Theaterakademie August Everding in München. „Herr Steinbacher, Sie sind aufgenommen.“
An allen staatlichen Schauspielschulen im deutschsprachigen Raum hatte sich Steinbacher nach dem Abitur beworben. Genommen haben sie ihn gleich bei der ersten Prüfung an der Theaterakademie. „Es war die richtige Schule für mich“, sagt Klaus Steinbacher (27) heute.
Ein bisschen war es vielleicht auch Vorsehung. Während des Unterrichts legte ihm sein Mathelehrer den Anmeldezettel für die Akademie aufs Pult. Einfach so. Am Prüfungstag hätte er auch mit den anderen warten können. Doch nachdem er vorgesprochen hatte, packte er lieber seinen Rucksack und lief zum Bahnhof: Die BOB nach Reichersbeuern erwischen, zum Theaterabend ins Trachtenvereinsheim. G’scheid gefeiert hat er nach der Vorstellung trotzdem. Mit den anderen Theaterern, seinen Eltern, seinen Spezln – und etlichen Bieren. „Du Hund“ haben sie gesagt. Alle freuten sich narrisch für ihn.
Noch heute, neun Jahre später, steigt er in die BOB, wenn er vom Dreh aus Berlin kommt. Aus Wien. Aus Prag. Viel ist er die Tage unterwegs. Seit der Fernsehserie „Das Boot“, allerspätestens nach seiner Rolle in „Oktoberfest 1900“ ist er im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt. Erst kürzlich bekam er den österreichischen Filmpreis „Die Romy“ als bester Nachwuchsschauspieler.
Es läuft gut. Der Film „Generation Beziehungsunfähig“ ist aktuell im Kino, die Tragikomödie „Hannes“ kommt heuer heraus. Vor Kurzem drehte er die Serie „Gefährliche Nähe“ in Köln ab, die im Frühherbst auf „TV Now“ ausgestrahlt wird und in der er eine der Hauptfiguren spielt. „Ein wahnsinnig tolles Projekt.“ Drei Monate war er weg, eine intensive Arbeit. Die Rolle: ein zerrissener Charakter, der mit inneren Dämonen kämpft. Klaus Steinbacher reizen solche Herausforderungen.
Daheim, im Garten seiner Eltern, kann er Luft holen, Kraft tanken. In seiner Wohnung in München, sein zweites Zuhause, funktioniert das auch. „Aber hier geht es sehr schnell“, sagt er. Barfuß in T-Shirt und Shorts sitzt er auf der Bank vor dem Gartenhäusl und nippt an einem Haferl Kaffee. Seine Mama Monika und die jüngste Schwester Maria setzen sich dazu. Schenken sich eine Tasse ein. Ratschen. Besprechen den bevorstehenden Geburtstag vom Opa. Heute Abend will Klaus noch ins Fußballtraining. Auch während seiner vierjährigen Schauspielausbildung spielte er fast jedes Wochenende. „Das komplette Gegenprogramm.“
Seit er ein Kind ist, ist Steinbacher Mitglied beim SC Reichersbeuern. Eine Bilderbuchkindheit im Oberland, Ganz so wie bei den Klassenkameraden lief seine Jugend aber nicht. Mit zehn Jahren wurde er auf dem Pausenhof des Gymnasiums in Bad Tölz angesprochen, ob er Lust hätte, beim Casting zu Markus H. Rosenmüllers „Wer früher stirbt ist länger tot“ mitzumachen. Steinbacher erinnert sich schmunzelnd. „Am selben Tag bekam ich meine Englischschulaufgabe heraus.“ Eine glatte Fünf. Zu seiner Mama sagte er: „Ich werde jetzt eh Schauspieler.“
Die Rolle des vorlauten Toni war 2005 der Einstieg. Gleich im Jahr darauf spielte er im nächsten Rosenmüller-Film „Schwere Jungs“. Auftritte in Fernsehserien und Filmen folgen: „Der Bergdoktor“, „Rosenheim-Cops“, „Die Verführerin Adele Spitzeder“, „Das Wunder von Merching“, „Das Leben ist ein Bauernhof“. Mit 14 Jahren hatte er zwei Jahre lang eine feste Rolle in der Jugendserie „Fluch des Falken“. Zwei Monate Drehzeit für eine Staffel – zum ersten Mal ist er länger von zu Hause weg. Zum ersten Mal spielt er auf Hochdeutsch, muss als Dialektsprecher hart an sich arbeiten. „Es reichte nicht mehr, einfach ans Set zu kommen und sich so gut es geht in die Rolle einzufühlen.“ Seine gesamte Schulzeit über war er auf Filmsets. „Es war nie zu viel“, betont er. „Sonst wäre ich nicht dabeigeblieben.“
Vor dem Abitur kam der Gedanke an eine Schauspielschule immer öfters. Den Beruf richtig lernen. Auf seinen Drehs erzählten ihm Profis, was für ein riskanter und brotloser Beruf die Schauspielerei sein kann. Er wollte es trotzdem probieren. „Ich wusste aber: Wenn ich das durchziehen möchte, muss ich studieren.“ Lehramt wäre eine Alternative gewesen. „Ich glaubte, ich muss einen Plan B haben, falls es nicht funktioniert.“ Seine Eltern unterstützten ihn. „Probier’s doch einfach“, sagten sie. „Wenn es nicht hinhaut, dann machst halt was anderes.“ Klaus Steinbacher ist ihnen dankbar. „Meistens ist es anders rum und Eltern wollen, dass man erst einmal etwas Gescheites lernt.“
Bereut hat er seine Entscheidung nie. Auch wenn es im Studium nicht immer leicht war. „Ich war nie einer der Besten“, sagt er nüchtern. Andere bewunderte er, weil ihnen vieles scheinbar so leicht fiel. Klaus Steinbacher arbeitete an sich. Vor allem an seiner Sprache. „Der Dialekt war ein Problem.“ Er trainierte ihn ab. Ab und an war das „schon ein Kampf“. Aber er wusste, wofür. „Ich wollte das unbedingt lernen.“
Während seiner Studienzeit spielte er kein einziges Stück auf Bairisch. Auch nicht während seines festen Engagements an der „Schauburg“ in München. Hört man ihn in Interviews, glaubt man, er wäre aus Berlin, nicht aus Oberbayern.
Durch sein Studium wurde ihm aber auch bewusst, was Mundart für eine Kraft haben kann. Als er für seine Abschlussprüfung einen Monolog aus Anton Tschechows „Kirschgarten“ auf Bairisch spielte, gab es viel Anerkennung. Sogar von der Intendanten-Jury aus Berlin, vor der er vorsprach. In seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich mit Varianten der Aussprache des Bairischen in Film und Fernsehen.
Wenn Klaus Steinbacher heute einmal Mundart spielt, überlegt er genau, wie er das macht. „Es ist wichtig, dass die Figuren beweglich bleiben.“ Nicht platt, klischeehaft. Und er meint damit nur Bairisch, sondern Dialekte und Akzente insgesamt. Mehr sprachliche Diversität, sagt er, wäre für den Film eine Bereicherung. „Das macht es spannend. Im echten Leben reden die Leute ja auch unterschiedlich.“ Steinbacher möchte vielschichtige Figuren spielen. „Ich mag es, wenn sie richtig in der Scheiße sind und sich wieder hochkämpfen müssen.“
Als das Filmteam des ORF im Gartenhäusl in Reichersbeuern auf den jungen Schauspieler wartete, um „Die Romy“ zu überreichen, machte der vor Schreck die Tür gleich wieder zu. Schauspielkollege Markus Freistätter saß im feinen Anzug in der Bauernstube, schräg gegenüber vom Herrgottswinkel. Die Romy hatte er im Schnapskastl versteckt. Als Klaus Steinbacher am Scharnierl drehte, stand der Preis in vollem Glanz vor ihm. Er wusste von der Nominierung, aber: „Ich hätte nie geglaubt, dass ich echt gewinne.“
Gerade kam er aus Köln zurück. Eigentlich wollte Klaus Steinbacher mit seinen Eltern und den beiden Schwestern in der Hütte gemütlich mittagessen und ratschen. Sie warteten derweil im Garten. Als er rauskam, umarmten sie ihn. Und freuten sich narrisch.