Vom Tresen ans Telefon

von Redaktion

Andreas Otten musste seine Bar aufgeben und wechselte in einen Bürojob

Poing – Traurig blickte sich Andreas Otten am letzten Tag in seiner Bar vergangenen November um. Seit Mai 2013 schenkte er hier gemeinsam mit seiner Freundin Getränke aus, veranstaltete Konzerte und war mit jedem Gast per Du. Dem 38-Jährigen, der sonst nie um einen lustigen Spruch verlegen ist, fehlten zum ersten Mal die Worte. Denn im Herbst 2020 musste das „Zum Andal“ in Poing im Landkreis Ebersberg endgültig schließen. Die Corona-Pandemie hatte die finanziellen Reserven des Paares erschöpft. Aus der Traum vom eigenen Lokal. Sich tatenlos im Selbstmitleid zu suhlen, war für Otten jedoch keine Option: „Irgendwie geht es immer weiter, jammern hilft ja nichts“, sagte er sich. Denn er hatte bereits einen Plan.

Kaum ein halbes Jahr später flitzt Otten gut gelaunt durch die Räume des ärztlichen Laboratoriums des Medizinischen Versorgungs-Zentrums (MVZ) in Poing. Der 38-Jährige ist nun Büroangestellter, zuständig für Kommunikation und Organisation. Er hat seine Türe stets geöffnet und grüßt lächelnd jeden Kollegen, der vorbeigeht. Immer wieder fragt er: „Na wie geht’s? Alles fit?“ – genau wie bei seinen Gästen damals.

Ein Bekannter organisierte ihm vergangenes Jahr beim MVZ ein Vorstellungsgespräch. „Erst wurde mir ein Job als Blutfahrer angeboten, ich war mir aber unsicher, ob mir das nicht zu langweilig wird“, erklärt er. Schließlich war er es bisher gewohnt, Tag und Nacht von Menschen umgeben zu sein.

Ursprünglich gelernt hatte Otten Elektroniker. Bis 2019 arbeitete er bei den Stadtwerken München, als festes Standbein neben seiner Tresenarbeit. Doch eine Rückkehr kam für ihn nicht mehr infrage: „Ich war dort 19 Jahre und brauchte, was meine Hauptarbeit betrifft, einen Tapetenwechsel“, erklärt er. An Ottens Geburtstag rief schließlich ein Mitarbeiter des Labors an, dass er sich den ehemaligen Wirt super im Büro vorstellen könne.

Also telefonieren und tippen statt Bier ausschenken. „Ich bereue den Wechsel überhaupt nicht, auch dank der tollen Kollegen hier, die mir die Umstellung erleichtert haben“, resümiert er zufrieden. „Trotzdem muss ich meiner Chefin immer wieder die Angst nehmen, dass ich doch wieder in das Gaststättengewerbe zurückwechseln könnte“, sagt er mit seinem Barkeeperlächeln.

Und tatsächlich gibt es für ihn nach Feierabend immer noch die Möglichkeit, hinterm Tresen zu stehen. Denn sein Ziehsohn René Tiefnig betreibt nur wenige hundert Meter vom „Andal“ entfernt seine eigene Bar, das „Oldies“. Die nächsten Veranstaltungen und Konzerte dort sind bereits in Planung. „Und wenn es mich juckt, helfe ich im Oldies aus“, sagt Otten. Denn irgendwie geht es immer weiter. Wenn nicht als Hauptberuf, dann eben als Hobby. RAFFAEL SCHERER

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