„Wie eine aufgerichtete Leiche“

von Redaktion

VOR 100 JAHREN Wie ein Journalist über die letzten Tage Ludwig Thomas berichtete

VON DIRK WALTER

München – Obwohl ihm die Ärzte nicht die ganze Wahrheit erzählten, hatte Ludwig Thoma wohl geahnt, wie es um ihn stand. Schon im Sommer 1921 wurde der Bayerndichter von Magenschmerzen geplagt, er vertrug keinen Kaffee mehr und hielt notgedrungen Diät. Von den letzten Tagen Ludwig Thomas berichtet der Kulturredakteur Hans Maier von der Münchener Zeitung. Maier (1876–1942) war ein enger Vertrauter des Schriftstellers und veröffentlichte in der Wochenendausgabe 27. August 1921 einen langen Nachruf. Er erinnerte sich, dass Thoma schon Anfang Juli über starke Beschwerden klagte und „eine Bergpartie abgesagt“ habe, auf die er sich lange gefreut hatte. „Nun begann, anfangs nur den Freunden sichtbar, der Verfall.“ Thoma begab sich in ein Münchner Krankenhaus.

Am 5. August verfasste er sein Testament, einen Tag später unterzog er sich einer Magenoperation, die erfolglos abgebrochen wurde: Krebs im Endstadium.

Der Journalist Maier hatte Thoma danach mit dem Auto vom Krankenhaus abgeholt: „Wie eine aufgerichtete Leiche wankte er aus dem Hause, lehnte sich in die Tiefe des Wagens und schlief dann vor Schwäche“, erinnerte er sich. Hinter Holzkirchen sei der Schriftsteller dann aufgewacht, habe nur müde die Hand gehoben. Daheim in Rottach-Egern wartete laut Maier schon der bekannte Tegernseer Volksmusiker Kiem Pauli, gleichfalls ein Freund des Thoma. Er versuchte ihn aufzumuntern: „Herr Dokta, bald wer’n wir wieder dreschen“ – das heißt Kartenspielen. Thoma antwortete: „Dös glaab’ i, Pauli, den dresch’ ma!“ Maier fügte an: „Er hat es nur noch heraushauchen können.“

Drei Wochen blieben Ludwig Thoma danach noch – in denen er Zuversicht demonstrierte, die wohl nur vorgespiegelt war. Davon zeugt auch ein Schreiben an seine Schwester Bertha vom 20. August, über das die Historikerin Gertrud Maria Rösch berichtet: „Du musst mir nach Mamas Rezept: Brennsuppe, Brotsuppe mit Rahm, Degerlbraten mit Kompott, Kalbfleisch mit Sauce machen.“ Flehentlich fügte der Todkranke an: „Also mach es recht, ich brauch diesmal wirklich Hilfe.“

Sechs Tage später, am 26. August 1921, abends um halb zehn Uhr, starb Ludwig Thoma im Alter von 54 Jahren.

In seinem Nachruf widmete sich der Journalist Hans Maier ausführlich dem Werk Thomas, das er in höchsten Tönen pries: „Sein literarischer Ruhm war eigentlich schon mit dem Agricola begründet“, hieß es da. „Der Andreas Voest hat ihn dann für alle Zeit befestigt.“ Auch die Simplicissismus-Artikel (832 Beiträge!) lobte er. Seit (Heinrich) Heine“, so schrieb er, „wurde der gesellschaftliche und politische Angriff nicht mehr so scharf und geschliffen geführt wie von Ludwig Thoma.“

Interessant ist, was im Nachruf fehlt: Thomas letzte Phase: Die antisemtischen und republikfeindlichen Artikel im Miesbacher Anzeiger 1920 und 1921 werden von Maier mit keiner Zeile erwähnt. Dabei wusste der Journalist über die (nicht namentlich gekennzeichneten) Artikel „sicher“ Bescheid, wie der Historiker Wilhelm Volkert schreibt. Maier war bei vielen Beiträgen sogar Berater Thomas. Und er konnte nach seinem Tod eine Liste der Redaktion einsehen, in der die Beiträge Thomas einzeln aufgeführt waren. Warum Maier über Thomas Mitarbeit schwieg, ist nicht ersichtlich. Vielleicht war es ihm peinlich. Andererseits: Auch die Münchener Zeitung segelte damals im rechtsnationalen, allerdings nicht offen antisemitischen Fahrwasser, ihr Chefredakteur Adolf Schiedt war später Pressesprecher des ultrakonservativen Generalstaatskommissars Gustav von Kahr.

Interessante Notiz am Rande: Am 2. September 1921 erschien in der Münchener Zeitung die Notiz, Thoma habe seine „kostbare Bibliothek dem Herzog Ludwig Wilhelm in Bayern vermacht“; mit dem Tegernseer Wittelsbacher habe Thoma „eine schöne Freundschaft“ verbunden. Was aus der Bibliothek wohl geworden ist?

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