München – Die Verunsicherung unter den Mitgliedern des Diözesanrats der Katholiken ist deutlich zu spüren bei der Herbstvollversammlung des Gremiums am Samstag in München. Hat Reinhard Marx überhaupt „noch Bock“ auf das Amt? So jedenfalls zitiert Diözesanrats-Vorsitzender Hans Tremmel die Frage einer engagierten Ehrenamtlichen.
Der Münchner Erzbischof hatte mit seinem Rücktrittsgesuch am 21. Mai ein Zeichen setzen wollen. Er habe die Erwartung gespürt, dass jemand im Missbrauchsskandal in der Kirche die Verantwortung übernehmen müsse, beschreibt Marx am Samstag seine Beweggründe. Seit Bekanntwerden des Skandals im Jahr 2010 und mehr noch seit der Veröffentlichung der MHG-Studie über den Umgang der Kirche mit den Missbrauchsfällen im Jahr 2018 treibt es ihn um. Doch der Papst lehnte das Gesuch ab.
Der Münchner Erzbischof hatte dann aber in seinem Hirtenbrief Ende Juli einen möglichen erneuten Amtsverzicht nicht ausgeschlossen und damit für weitere Irritationen gesorgt. Danach war er in die Sommerpause entschwunden. Jetzt aber wollen die Katholiken des Erzbistums Klarheit. Vorsitzender Professor Hans Tremmel bringt das ungeniert auf den Punkt: „Also, Herr Kardinal, wie schaut’s aus: Haben Sie keine Lust mehr auf uns und Ihr Erzbistum?“
Der 68-jährige Marx hat offensichtlich neue Energie und Kraft getankt: „Herr Vorsitzender, ich hab’ Lust auf Euch!“, ruft er unter dem Applaus der Laien-Vertreter. Und dann gibt er Einblick in die Hintergründe, die zu seinem Rücktrittsgesuch geführt hatten. Marx ist seit 25 Jahren Bischof. Sein Jubiläum hat er ausfallen lassen, weil ihm auch angesichts der Probleme in der Kirche nicht zum Feiern zumute war. Er gehört damit zu den dienstältesten Bischöfen Deutschlands. „Da kann ich doch nicht sagen, vor 25 Jahren war ich nicht dabei, gehöre ich nicht zur Institution, wenn wir von systemischen Fehlern reden.“
Durch die Pandemie sei das Nachdenken „über mich und die Lage der Kirche intensiver geworden, vielleicht auch sorgenvoller“, sagt er. Im ganz kleinen Kreis habe er mit einer Handvoll Vertrauten über seine Rücktrittspläne gesprochen. Seine Entscheidung habe er dann mit dem Papst persönlich besprochen am 21. Mai. Und ihm gesagt, dass die Kirche in diesem Thema die falsche Blickrichtung habe. „Ob das immer eine persönliche Schuld ist, ist im Einzelfall zu klären. Aber auf die Opfer haben wir nicht so geschaut, wie wir es hätten tun müssen“, so Marx.
Auch systemische Fehler – wie den Klerikalismus und die Haltung, man müsse die Institution schützen – müsse man in den Blick nehmen. „Ich habe auch nicht immer hingeschaut in den 25 Jahren“, räumt Marx erneut persönliche Fehler ein. Das würden womöglich auch noch zu veröffentlichende Untersuchungen zeigen, „vor denen ich aber nicht vor Angst erstarre“. Damit spielt Marx auf das mit Spannung erwartete neue Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum an, das – anders als die erste Studie – auch veröffentlicht werden und die Verantwortlichen für die Vertuschung explizit nennen soll. Wie es am Samstag heißt, wird das Gutachten der Kanzlei Westphal Spilker Wastl erst Ende des Jahres oder Anfang 2022 veröffentlicht.
Marx bestreitet vehement den Vorwurf, er habe sich mit dem Rücktrittsgesuch einen Persilschein für etwaige weitere Vorwürfe geholt. Das habe ihm ein Mitbruder vorgeworfen, und das habe ihn wahnsinnig aufgeregt: „Als sei das ein Spiel gewesen. Als hätte ich dann bei allen Vorwürfen, die immer mal kommen könnten, sagen können: Ich bin ja draußen.“ Daher sei es ihm wichtig gewesen, im Hirtenbrief darauf hinzuweisen, dass es Situationen geben könne, wo gesagt werde, dass man dem Kardinal so nicht mehr vertrauen könne. Jetzt sehe er dafür aber keinen Anlass. „Ich habe einen Willen und eine Bereitschaft, mich wieder ganz in die Aufgabe hineinzubegeben.“ Innerlich sei er aber darauf vorbereitet gewesen, das Amt aufzugeben, „wenn ich auch ein bisschen Angst hatte: Was machst Du dann?“
Er wolle aber, so wie es jetzt stehe, „mit großer Freude, mit Zuversicht mit Ihnen weiterarbeiten in einer Kirche, die Zukunft hat“. Es gehe darum, die tiefe Krise der Kirche nicht zu leugnen, sondern daraus zu lernen. Marx warnt vor einer Trennung der aktuellen Krise von der Reformdebatte: „Viele denken, dass wir natürlich administrativ alles tun müssten, um bessere Wege zu finden, aber das habe nichts mit der Reform der Kirche zu tun. Da bin ich dezidiert anderer Meinung.“ Es gelte, einen „Weg zu gehen in eine neue Epoche der kirchlichen Wirklichkeit“. Nötig sei ein „Blick nach vorne“ ohne „auszublenden, was war“.
Marx spricht sich vor den katholischen Laien für erneuerte Seelsorgskonzepte und Synodalität aus. Auch er sei bereit zu lernen. „Ich verspreche: In allen Stürmen, die kommen und die gewesen sind, habe ich das Bewusstsein, dass ich hier im schönsten Bistum Deutschlands bin. Ich freue mich darauf, mit Ihnen weiter zu gehen. Ich möchte noch mehr mit Ihnen zusammen ein synodaler Bischof werden.“
Kein Persilschein: Marx ärgert sich über Vorwurf eines Mitbruders