Die neue Normalität

von Redaktion

Vor einem Jahr begann der Lockdown: Drei Bayern erzählen, was geblieben ist

VON VERENA MÖCKL

München – Deutschland im November 2020: geschlossene Läden, leere Straßen, Geisterstädte. Das öffentliche Leben wird heruntergefahren. Die Regierung kündigt einen einmonatigen Lockdown light an. Es werden die längsten vier Wochen aller Zeiten. Statt mit Hemd und Anzug in die Arbeit zu gehen, sitzen viele monatelang mit Jogginghose im Homeoffice. Das ein oder andere Kilo wandert auf die Hüften. Weil auch die Friseure schließen müssen, greifen einige aus der Not selbst zur Schere. Nach fünf Monaten kommt dann die Erlösung. Im März endet der Lockdown. Was haben diese langen Wintermonate mit den Unternehmen und den Menschen gemacht? Ist der Alltag nach einem Jahr zurückgekehrt? Drei Menschen aus Oberbayern blicken zurück und berichten, was vom Lockdown light geblieben ist.

Die Friseurin

Brigitte Bogner ist verzweifelt. Seit 36 Jahren hat die Friseurmeisterin ihren Salon in Bad Tölz. Doch noch nie hat sie so wenig Kundschaft gehabt wie jetzt. Die Folgen des Berufsverbots, das für ihre Branche im Lockdown galt, spürt die 59-Jährige noch immer. „Damit hat keiner gerechnet“, sagt sie. Als Obermeisterin der Friseur-Innung Miesbach/Bad Tölz-Wolfratshausen weiß Bogner: Sie ist kein Einzelfall. Auch andere Friseure haben viele ihrer Stammkunden verloren.

Während des Lockdowns hätte sich das keiner vorstellen können. In dieser Zeit konnten sich die Friseure vor Anfragen kaum retten. Sie wurden mit Nachrichten überhäuft, ob sie nicht privat die Haare waschen, schneiden oder färben könnten. „Ich hab das im Keim erstickt“, sagt Bogner. Denn für die Friseure galt während des Lockdowns Berufsverbot. Doch nicht alle hielten sich daran. Einige Friseure boten Hausbesuche nach der Arbeit an. „Viele Kunden sind zu diesen unmoralischen Angeboten abgewandert und unterstützen jetzt die Schattenwirtschaft“, sagt sie. Aus Bequemlichkeit, vermutet Bogner. „Für viele sind Hausbesuche einfach praktischer.“ Nachdem die Friseure wieder öffnen durften, hätten sich einige Kunden gescheut, in den Laden zurückzukommen. Aus Scham, unmoralische Anfragen an Friseure gestellt zu haben. „Als Fachfrau sehe ich, wenn sich ein Kunde während des Lockdowns die Haare professionell machen hat lassen.“

Bogner appelliert an die Vernunft der Kunden und die Loyalität der Friseure, solche unmoralischen Anfragen beziehungsweise Angebote zu unterlassen. „Wir haben gehofft, dass es für uns Friseure nach dem Lockdown normal weitergeht. Das war ein vergeblicher Wunsch.“

Der Wäscherei-Chef

In Ludwig Kastenmeiers Wäscherei in Starnberg kann von Normalität ebenfalls keine Rede sein. Seit über 20 Jahren betreibt er das Familienunternehmen. „Früher hatte ich immer genügend Arbeit“, erzählt er. Das hat sich während der Pandemie allerdings gravierend geändert.

Kastenmeiers Hauptgeschäft sind Hemden und Anzüge. Viele seiner Kunden arbeiten nun jedoch im Homeoffice. Für das Familienunternehmen eine Katastrophe. „Wir hatten nur noch zwei bis drei Kunden in der Woche.“ Kastenmeier muss Konsequenzen ziehen. Die Wäscherei hat nur noch vormittags geöffnet. Nachmittags arbeitet Kastenmeier je nach Bedarf. Entweder er liefert Wäsche aus, arbeitet als Fußball- und American-Football-Trainer oder gibt nachmittags Schülern Sportunterricht.

Der 55-Jährige hat sich bereits damit abgefunden, dass sein Familienunternehmen nicht mehr in den Vollbetrieb gehen wird. „In den nächsten fünf Jahren wird sich so schnell nichts ändern“, ist er überzeugt. Die Wäscherei ist seit Corona nur noch ein Halbtagsjob.

Der Fitnesstrainer

Der Lockdown hat auch die Fitness-Branche hart getroffen. Knapp ein Jahr waren die Studios geschlossen. Für Wolfgang Perret, Inhaber des Anima Fitnessstudios in Dachau, und viele seiner Kollegen ein dramatischer wirtschaftlicher Einschnitt. Auch er hat einen Teil seiner Kundschaft verloren – vor allem während des Lockdowns. Viele Mitglieder hatten vorsorglich ihren Vertrag gekündigt.

Mittlerweile läuft es im Studio wieder rund. Der 56-Jährige ist glücklich. „Wir haben ein Bombengeschäft“, berichtet er. Das hat er nicht erwartet. Die Nachfrage sei riesig. Vor allem von Neumitgliedern. Bis das Fitnessstudio das Vor-Corona-Niveau erreicht hat, brauche es allerdings noch rund zweieinhalb Jahre. Perret betont: „In der Krise zeigt sich, welches Verhältnis man zu seinen Kunden hat.“

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