Wolfratshausen – Schwierige Tage. So nennt Elisabeth Mayrhofer Hochzeits- und Geburtstage, die Adventssonntage, Weihnachten und Silvester zählt sie auch dazu. Für die meisten Menschen freudige Ereignisse – für Trauernde seelische Schwerstarbeit. Im Gemeinschaftsraum des katholischen Pfarrheims St. Josef in Wolfratshausen rückt sie mit Bernhard Pletschacher einen Stuhlkreis zurecht. In der Mitte breiten sie ein buntes Tuch und Blumen aus, stellen eine Kerze auf und legen einen runden Kiesel dazu, den Redestein. Draußen endet ein stürmischer Herbsttag, es ist schon dunkel. Jeden letzten Dienstag im Monat sucht sich von 18 bis 19.30 Uhr hier jeder, der mag, einen Platz.
Wer hierher kommt, hat einen nahen Menschen verloren, den Partner, ein Elternteil, Geschwister, beste Freunde. Manchmal sogar ein Kind. Manche kommen bereits wenige Tage nach dem Verlust, andere können sich erst nach Jahren überwinden. „Wir schicken niemanden weg“, sagt Mayrhofer. Mit Pletschacher und Angelika Bachmaier leitet sie seit 2005 die Trauergruppe. Es ist eine von Dutzenden ehrenamtlichen Gesprächsangeboten für Trauernde in Bayern, meist stellen die Kirchengemeinden die Räume zur Verfügung.
Diese Gruppe ist offen. Erwachsene aus jeder Konfession können zu jedem Termin kommen, eine Pause einlegen, sich wieder verabschieden. Ein kurzer Anruf genügt. Vor schwierigen Tagen wie Weihnachten sind alle zwölf Stühle besetzt, zu anderen Zeiten nur vier oder sechs. „Für uns ist entscheidend, dass der Einzelne hier seine individuelle Trauer erleben und in geschütztem Rahmen davon erzählen kann“, sagt Pletschacher, der wie seine beiden Kolleginnen als Trauerbegleiter ausgebildet ist.
Wie viel Kraft und Lebensmut die soziale Unterstützung einer Gruppe geben kann, weiß auch Karin Burghofer. Die Diplom-Psychologin beschäftigt sich in ihrer Praxis in Bad Tölz auch mit trauernden Klienten: „Wieder in Beziehung zu treten mit anderen Menschen, das ist ein wesentlicher Aspekt der Heilung.“
Die Gruppenregeln sind einfach: Jeder stellt sich und den verlorenen Menschen kurz vor, nichts wird kommentiert, die Trauerbegleiter geben keine Ratschläge. Stattdessen hören sie aktiv zu, ermuntern zum Sprechen. Die Menschen kommen anonym hierher, ihre Geschichte verlässt nicht den Raum. Manchmal liest Mayrhofer ein Gedicht vor oder Pletschacher zeigt selbst fotografierte Naturmotive, die zum Reden animieren. „Trauern braucht Raum und Zeit“, sagt Psychotherapeutin Burghofer. „Trauergruppen bieten beides. Dieses Gefühl des Verstandenwerdens wird oft als sehr entlastend und stützend erlebt.“
Trauer ist keine Krankheit, sondern die natürliche Reaktion auf den Verlust eines nahen Menschen. Dennoch leiden Betroffene zusätzlich unter der gesellschaftlichen Abgrenzung. In der Öffentlichkeit zu weinen, überhaupt Gefühle zu zeigen, wird immer noch als Schwäche verbucht. „Ein Trauerprozess dauert häufig länger als allgemein angenommen“, sagt Burghofer. „Trauernde fühlen sich dann unter Druck gesetzt, wieder funktionieren zu müssen.“ In den Gruppen spannen die Betroffenen gemeinsam ein tröstliches Netz auf, in das sich jeder fallen lassen kann – egal, wie lange der Todestag schon zurückliegt. Was können Außenstehende tun? „Gehen Sie auf Trauernde zu!“, rät Mayrhofer. Besser als die Frage, wie es geht, sei ein konkretes Angebot. Eine Verabredung zum Essen oder ein kleiner Spaziergang. „Zeigen Sie immer wieder Bereitschaft zuzuhören, indem Sie vermitteln: Ich geh ein Stück mit dir.“ Burghofer hält Fürsorge und Unterstützung für essenziell: „Nach einem Verlust fühlen sich viele wie von der Welt abgeschnitten. Dann können gemeinsame Aktivitäten mit anderen als sehr hilfreich erlebt werden.“
Elisabeth Mayrhofer hat vor zehn Jahren ihren Vater, vor neun Jahren ihre Schwägerin verloren. Mit dem bewussten Trauern um beide hat sie auch sich selbst ein Geschenk gemacht: „Ich bin dankbar geworden für alles, was mich umgibt.“ Scheinbar Selbstverständliches wie Familie und Freunde bekam einen neuen Stellenwert. Auch die Rückmeldung der Gruppenteilnehmer gibt den Begleitern Kraft. „Viele sagen, ich bin ein anderer Mensch geworden. Ich habe mehr Verständnis für die, die in Not sind. Und ich erlebe einen größeren inneren Frieden.“ So ist dieser Stuhl im Pfarrheim Zufluchtsort und Lichtblick zugleich, auch für Mayrhofer: „Ganz verschwindet die Trauer nie“, sagt sie. „Aber man lernt, mit ihr umzugehen. Man lernt die Wellen kennen und spürt, sie werden sanfter mit der Zeit.“
Infos zu Trauergruppen
gibt es bei den Seelsorgern der Pfarreien oder unter www.trauergruppe.de.