Verfemt, verfolgt, vernichtet

von Redaktion

Erinnerung an Liebmann Mayer – Vorbild für Feuchtwangers „Erfolg“

Leben und Werk August Liebmann Mayers (1885-1944) sind derart facettenreich, dass jeder Verfasser einer Kurzbiografie unweigerlich scheitern muss. Dennoch, probieren wir’s: Liebmann Mayer war Kurator der Bayerischen Staatsgemäldesammlung und in den 1920er-Jahren der Experte für spanische Kunst (El Greco, Goya). Er schrieb 21 Bücher und wohl hunderte Aufsätze. 1930/31 war er in einen unappetitlichen Streit um Gebühren für Expertisen verwickelt, der ihn an den Rand des Nervenzusammenbruchs führte. Er quittierte aufgrund „der seit Monaten dauernden Hetzereien“ sein Amt im Staatsdienst.

Am 24. März 1933 wurde der vom „Völkischen Beobachter“ als „jüdischer Kunstparasit“ diffamierte Jude verhaftet und ins Münchner Polizeigefängnis an der Ettstraße gebracht, wo er am 15. Juni einen Selbstmordversuch unternahm. Er überlebte. Später musste Liebmann Mayer vor den Nazis fliehen, erst nach Paris, wo er als freier Gelehrter weiterarbeitete, später nach Nizza. Am 3. Februar 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet. Er kam ins Lager Drancy. Von dort wurde er am 7. März 1944 nach Auschwitz deportiert, wo der damals 58-Jährige vermutlich am 12. März 1944 ermordet wurde. Es ist eine Geschichte, wie eine Existenz bis in den Tod schikaniert wurde.

Am Haus an der Martiusstraße 8 in München-Schwabing, wo Liebmann Mayer in den 1920er-Jahren lebte, hat die Stadt München am Donnerstag ein Erinnerungszeichen angebracht. Angestoßen hat das die 35-jährige Doktorandin am Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Kultur, Isabell Gruber. „Ich bin überzeugt, dass jedes Erinnern im öffentlichen Raum wertvoll ist“, sagt sie. So könne jeder „im Vorbeigehen“ etwas über Liebmann Mayer erfahren.

Ansatzpunkte, sich mit Liebmann Mayer zu befassen, finden sich in jeder gut geführten Buchhandlung. Denn Liebmann Mayer war nach landläufiger Ansicht Vorbild für Martin Krüger, die Hauptperson in Lion Feuchtwangers Roman „Erfolg“. Die Romanfigur Krüger ist ein Experte für spanische Kunst, der infolge einer Intrige hinter Gitter wandert und dort schließlich zugrunde geht. Der Münchner Kunsthistoriker Christian Fuhrmeister hat die Parallelen Krüger/Liebmann Mayer untersucht. Er geht davon aus, dass das Leben Liebmann Mayers wenigstens zum Teil in dem des Krüger aufging – zumal der Kunstexperte den Autor gut kannte. Aber in typischer Collagetechnik verschmolz Feuchtwanger in der Krüger-Figur weitere zeitgenössische Protagonisten, etwa Ernst Toller und Erich Mühsam. Vielleicht auch August Hagemeister, einen Sozialisten, der in ruinöser bayerischer Festungshaft 1923 starb.

Merkwürdig ist gleichwohl: „Erfolg“ erschien im Mai 1930, die Vorwürfe gegen Liebmann Mayer, die schließlich zur Berufsaufgabe führten, wurden erst im Juli 1930 laut, und die Gefängnishaft war noch viel später, nämlich 1933. Festzuhalten, so schreibt Fuhrmeister zu Recht in einem Aufsatz, sei hier „eine merkwürdige prophetische Dimension“ in Feuchtwangers Roman.

Zusammen mit anderen Forschungseinrichtungen wie dem Münchner Instituto Cervantes und dem Stadtarchiv hat Fuhrmeister ein Kolloquium zu Liebmann Mayer veranstaltet – und da kam eine weitere Facette im Leben des Exilanten zur Sprache. Ein auf Kunstbesitz spezialisierter Einsatzstab in Frankreich eignete sich Schriften Liebmann Mayers an, die schließlich in Schloss Kogl (Oberösterreich) landeten, wo sie die russische Armee erbeutete und schließlich zum Teil in ein Sonderarchiv nach Moskau schaffte. Dort können sie Forscher heute – eine Kopie kostet zehn Dollar – mit einigen Mühen auswerten. Fuhrmeister war dort. „Der Nachlass belegt die Literaturexistenz von Mayer“ sagt er. Nur ein Beispiel: So ist dort die handschriftliche Erstfassung eines Romans „Der Maler von Toledo“ zu finden.

Übrigens besaß Liebmann Mayer auch eine Bibliothek – es müssen tausende Bände gewesen sein, die die Nazis in Paris konfiszierten. Sie kamen nach 1945 zum Teil wieder nach München. Die Nazis hatten die Besitzvermerke entfernt, doch Fuhrmeister und seinem Team ist es gelungen, wenigstens 27 Bücher zu identifizieren. Die Tochter Liebmann Mayers, die hochbetagt in den USA lebt, überließ ihnen die Bücher.

Übrigens hatte Liebmann Mayer 1925 in Tutzing am Starnberger See ein Haus erworben, das er sogleich in „Villa Goya“ umbenannte. Das Haus existiert nicht mehr. Aber ein Erinnerungszeichen wäre Liebmann Mayer auch dort wert. DIRK WALTER

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