München – Christian Bernreiter war irritiert, als er am Wochenende von Jens Spahns Appell hörte. Der Gesundheitsminister (CDU) forderte die Bundesländer auf, die Kapazitäten der Impfzentren schon jetzt hochzufahren, um auf die steigende Nachfrage für Auffrischungsimpfungen vorbereitet zu sein. „Monatelang haben alle so getan, als wäre die Pandemie vorbei“, sagt Bernreiter gegenüber unserer Zeitung. Viele Landkreise hätten sogar darum kämpfen müssen, dass die Impfzentren weiterhin bestehen bleiben. Die Ärzteverbände hatten immer betont, dass sie Drittimpfungen stemmen könnten. „Die Realität sieht aber anders aus“, sagt der Landkreistags-Präsident und Deggendorfer Landrat (CSU). „Die Praxen haben auch mal Urlaub und müssen auch die Grippefälle einplanen.“ Deshalb wäre es natürlich sinnvoll, die Impfzentren wieder aufzurüsten, betont Bernreiter. „Aber dann brauchen wir eine klare Ansage.“ Denn von heute auf morgen könne ein geschlossenes Impfzentrum nicht wieder in Betrieb gehen.
Das betonte auch der Deutsche Städtetag in einem Schreiben an die Gesundheitsminister. Ein Impfzentrum sei „keine Taschenlampe“, die je nach Stimmungslage aus- und wieder angeknipst werden können. Viele Gebäude würden inzwischen anderweitig genutzt, ehemalige Mitarbeiter hätten andere Arbeitsverträge unterschrieben. „Auch in einer Pandemie braucht es ein Mindestmaß an Kalkulierbarkeit von Entscheidungen“, kritisiert der Städtetag.
Das Rote Kreuz, das in Bayern die meisten Impfzentren betreibt, bestätigt das. Die Regierungen der Bezirke hatten am Montagabend E-Mails verschickt und die Betreiber gebeten, bis Dienstagmittag mitzuteilen, wie lange es dauern würde, ihre Impfzentren zur Maximalkapazität hochzufahren. „Das können wir so schnell gar nicht beantworten“, sagt BRK-Sprecher Sohrab Taheri-Sohi. „In jedem Landkreis gibt es andere Rahmenbedingungen.“ Vielerorts könnte es Wochen dauern, bis ein Betrieb mit Maximalkapazität wieder möglich ist. „Die Gebäude sind meistens nicht das Problem“, sagt Bernreiter. Die Herausforderung ist es, schnell wieder medizinisch geschultes Personal zu finden.
Allerdings ist Bernreiter überzeugt, dass die aktuellen Kapazitäten reichen würden, um die Drittimpfungen zu stemmen. Von den rund 400 bayerischen Impfzentren sind 81 noch in Betrieb. Dazu kommen die mobilen Teams. Im Landkreis Dachau gibt es zum Beispiel kein festes Zentrum mehr. Mobile Teams impfen pro Woche, an zwölf bis 16 Standorten. „Wir haben Kapazitäten von 1000 Impfungen pro Woche, die wir in diesem dezentralen System locker auf 2000 aufstocken könnten“, sagt eine Sprecherin des Landratsamtes. Aktuell lassen sich pro Woche 500 Menschen in Dachau impfen – auch mit der Drittimpfung.
Diese Kapazitäten werden Bernreiter aus vielen Landkreisen gemeldet. Deshalb bereitet ihm eher die Lage in den Kliniken Bauchschmerzen (siehe Artikel unten). „In vielen Landkreisen sind bereits alle Intensivbetten belegt“, berichtet er. Auch wichtige OPs müssen verschoben werden. In Niederbayern haben die Landräte die Corona-Maßnahmen gestern verschärft. Wie im Südosten Oberbayern gilt dort nun auch eine FFP2-Maskenpflicht und 2G in Diskotheken. „Die Situation ist in den Krankenhäusern schlimmer als letzten Winter“, sagt Bernreiter. Denn es gebe für die Kliniken aktuell keine Bettenfreihaltungs-Pauschalen mehr. „Wir brauchen dringend eine Aussetzung der Personaluntergrenzen, schon jetzt müssen Kliniken Strafzahlungen leisten, weil sie die Vorgaben nicht einhalten können.“ Außerdem fordert er erneut eine Prämie für die Pflegekräfte und Ärzte, die gerade wieder bis weit über die Belastungsgrenzen arbeiten würden. Bernreiter hofft auf eine schnelle Entscheidung aus Berlin.
„Uns stehen jetzt die härtesten vier Monate der Pandemie bevor“, sagt er. Die Gruppe der Geimpften werde Einschränkungen nicht mehr so einfach hinnehmen. „Und von den rund 25 Millionen Ungeimpften werden viele auf den Intensivstationen landen.“