Zeit der Annäherung

von Redaktion

INTERVIEW: Heinrich Bedford-Strohms Zeit als EKD-Ratsvorsitzender endet nach sieben Jahren

Seit sieben Jahren ist Heinrich Bedford-Strohm Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Am 10. November ist das Vergangenheit: Die EKD-Synode wählt in Bremen einen neuen Rat. Wahrscheinlich wird eine Frau künftig die Evangelische Kirche repräsentieren. Bedford-Strohm (61) bleibt noch weitere zwei Jahre bayerischer Landesbischof. Wir zogen mit ihm Bilanz.

Herr Landesbischof, am 10. November sind Sie nicht mehr Ratsvorsitzender der EKD. Wie ist Ihnen zumute?

Meine Gemütslage ist große Dankbarkeit. Es geht eine Zeit zu Ende, die zwar ungemein fordernd war, aber vor allem sehr erfüllend und spannend. Ich habe mich schon vor längerer Zeit entschieden, dass ich die letzten beiden Jahre meiner Amtszeit als Landesbischof von Bayern wirklich ganz für Bayern haben möchte, weil hier in der Landeskirche viele wichtige Umbauprozesse stattfinden und ich dafür meine ganze Energie verwenden möchte – auch in den schwierigen Situationen. Als Mitglied der Kirchenkonferenz bin ich weiter auf EKD-Ebene tätig und kann alle, die nach mir Verantwortung im Rat tragen, unterstützen. Und ich werde mich natürlich weiter öffentlich äußern.

Themen, wie etwa die Sorge um die Migranten, sind also nicht von Ihrem Tableau gestrichen?

Nein, in keiner Weise. Das habe ich vor meiner Zeit im Rat der EKD ja auch gemacht. Es geht auch nicht anders, dass sich Repräsentanten der Kirche mit der Welt in ihrer ganzen Vielfalt befassen. Dazu gehören natürlich auch der politische Horizont und Fragen, wo wir nach Wegen suchen müssen, die Not von Menschen zu überwinden. Oder die Fragen der Zukunft der Erde, die jetzt so viele Menschen mit guten Gründen bewegen, wenn es um den Klimaschutz geht. Aber auch die Kirchenentwicklung: Wie kann es uns gelingen, auch mit weniger Mitgliedern die Liebe Gottes an so vielen Orten wie möglich Menschen ins Herz hinein zu vermitteln?

Kirchenaustritte, sinkende Einnahmen, schwindende gesellschaftliche Relevanz: Sind die kirchlichen Glanzzeiten vorbei?

Die Zeiten haben sich schlicht geändert. Nach vielen Jahrzehnten der Individualisierung und Pluralisierung in der Gesellschaft ist die Aufgabe der Kirche heute eine andere. Es ist nicht mehr so wie früher, wo die Kirche sozusagen „gesetzt“ war und soziale Sanktionen zu befürchten waren, wenn Sie aus der Kirche ausgetreten sind, dass etwa das Verhältnis zur Oma zerrüttet worden wäre durch einen Kirchenaustritt. Diese Zeiten sind endgültig vorbei. Ich trauere dem auch nicht nach, ich möchte die Aufgabe offensiv angehen. In einer Zeit, in der sich die Menschen aus Freiheit für eine Institution entscheiden, müssen wir deutlich machen, dass das Evangelium eine ganz starke Grundlage für das eigene Leben ist. Und dass es dafür auch eine Institution braucht, die die Tradition weitergibt und die organisiert, dass Menschen bei der Hochzeit einen Segen bekommen, dass sie getröstet werden und die Kirche in der Diakonie präsent ist. Das alles brauchen wir nach wie vor. In dieser Umbruchsituation möchte ich deutlich machen, wie viel segensreiche Arbeit der Kirche jeden Tag geleistet wird, ohne dass es nach außen sichtbar wird.

Kirche wird im Moment sehr mit Skandalen in Verbindung gebracht. Wie kommt man da raus?

Natürlich hat die sexualisierte Gewalt in den letzten Jahren sehr stark im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gestanden. Es ist ja auch sehr gut nachvollziehbar. Man kann sich keinen schlimmeren Widerspruch vorstellen, als dass in einer Institution, die von der Liebe spricht, sexualisierte Gewalt geschieht. Etwas, das die Seelen von Menschen nicht nur verletzt, sondern zum Teil richtig zerstört. Das darf nicht sein. Das Vertrauen können wir nur zurückgewinnen, wenn wir entschieden dagegen vorgehen. Dazu gehört die Aufklärung, die Prävention. Wir sind an vielen Stellen am Ball.

Aber hinken auch ziemlich hinterher.

Seit Ende des letzten Jahrtausends ist da sehr viel geschehen, auch wenn wir damit noch nicht zufrieden sein können und kontinuierlich dazulernen. Wir haben uns um die Fälle, die wir kannten, intensiv gekümmert. Nachdem zunächst die Prävention sehr stark im Blick war, steht nun die Aufarbeitung im Fokus. Die Landeskirchen und die EKD unterstützen eine große Studie mit einer Zuwendung von 3,6 Millionen Euro, die von einem unabhängigen Forschungsverbund durchgeführt wird. Die evangelische Kirche hat sich nicht erst damit beschäftigt, seit das Thema in der katholischen Kirche so ins Zentrum gerückt ist.

In der katholischen Kirche sind die Ursachen, die den Missbrauch gefördert haben, das hierarchische Machtsystem, Männerbündlerei, veraltete Sexualmoral, Zölibat. Das trifft für die evangelische Kirche nicht zu. Was hat hier den Missbrauch befördert?

Genau um das zu wissen, haben wir die Studie in Auftrag gegeben. Aber es gibt natürlich Vermutungen. Bei uns ist in der Tat der Umgang hierarchiefreier und darum liegen die Risiken eher in einer Kumpel-Kultur. Risiken bestehen darin, dass eine große Nähe und Vertrauen in den Gemeinden durch Täter ausgenutzt wird. Den Anerkennungskommissionen der evangelischen Kirche wurden bundesweit 942 Fälle seit den 50er-Jahren berichtet. Ca. Zwei Drittel davon stammen aus dem Kontext der Heimerziehung. Wir müssen aber davon ausgehen, dass es eine sehr große Dunkelziffer gibt. Deswegen soll es über den Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung eine große Dunkelfeldstudie geben, die das Problem in der ganzen gesellschaftlichen Breite anschaut. Daran wollen wir uns gerne beteiligen.

Was hat Ihnen in Ihrer Zeit als Ratsvorsitzender besondere Freude gemacht?

Da gibt es sehr vieles, was mir Freude gemacht hat. Aber das Reformationsjubiläum von 2017 möchte ich hervorheben – und dabei besonders die ökumenische Dimension. Einer der intensivsten Momente meiner Zeit als Ratsvorsitzender war der Gottesdienst im März 2017 im Hildesheimer Dom, wo wir als große christliche Konfessionen, als Katholiken und Evangelische, einander um Vergebung gebeten haben für alles, was wir in diesen 500 Jahren einander angetan haben. Wenn man sich klarmacht, dass die Konfessionen blutige Kriege gegeneinander geführt haben und man bis in die jüngste Vergangenheit immer noch die eigene Identität durch die Abwertung der anderen zu stabilisieren versucht hat, dann ist das ein Riesenschritt, dass wir gesagt haben: Wir wollen das nicht mehr! Wir wollen Christus neu entdecken – und das ökumenisch. Daraus sind ganz viele Freundschaften und Beziehungen entstanden, die jetzt auch tragen auf dem dornigen Weg hin zu sichtbarer Einheit in versöhnter Verschiedenheit.

Ihre Nachfolge könnte eine Frau antreten.

Ich kann hier nicht spekulieren. Aber natürlich gibt es Frauen, die das sehr gut machen würden und die als Kandidatinnen für den Rat zur Verfügung stehen. Deswegen darf man gespannt sein. Protestantische Synoden sind nie vorhersehbar. Ich schau darauf aber sehr gelassen, weil ich weiß, dass wir genügend profilierte Menschen, Frauen und Männer, haben, die dieses Amt sehr gut ausfüllen würden. Ich bin sicher: Es wird eine starke Ratsvorsitzende oder einen starken Ratsvorsitzenden geben.

Interview: Claudia Möllers

Artikel 1 von 11