„St. Martin war moderner Friedensstifter“

von Redaktion

INTERVIEW Martin Cambensy ist Seelsorger in der Pfarrei St. Martin – und Fan des Heiligen

München – Heute ist Martinstag. Für Pfarrer Martin Cambensy ist das ein besonderer Tag. Nicht nur, weil der Heilige, der seinen Mantel mit einem Bettler teilte, sein Namensvetter ist. Die Pfarrei, die Cambensy im Münchner Stadtteil Moosach betreut, heißt St. Martin und liegt am St.-Martins-Platz. Da kommt einiges zusammen. Zum Interview kommt der 62-jährige Pfarrer ganz leger. Ein Gespräch über die Angst vor abgefackelten Laternen, Pferdeäpfel in der Kirche und was wir von dem Heiligen heute noch lernen können.

Herr Cambensy, seit 18 Jahren sind Sie in der Pfarrei St. Martin in Moosach tätig. Ist Martin von Tours, wie er ja wirklich hieß, Ihr Lieblingsheiliger?

Darüber hab ich mir ehrlich gesagt noch gar keine Gedanken gemacht, aber er ist auf jeden Fall unter meinen Top Fünf. Wegen der Mantelteilung ist er jemand, der sich gut für die Verkündigung eignet. Er war Streitschlichter, Rebell und ein sehr selbstbewusster Mensch. Für mich verkörpert er, wie man heutzutage als Christ leben könnte. Man muss nicht ein frömmelndes Hascherl sein, das den ganzen Tag betet. Dass ich in einer St. Martin-Pfarrei tätig bin, ist aber nur Zufall.

Sie sind nicht nur Pfarrer einer Sankt-Martins-Kirche, sondern tragen auch seinen Namen. Wie viel heiliger Martin steckt denn in Ihnen?

Auf jeden Fall viel. St. Martin war ein moderner Friedensstifter. Ich versuche, wie er ein Mensch zu sein, der Streit schlichtet, Brücken baut und weltoffen ist. Während meiner Studienzeit in Rom hab ich in einer kleinen Dorfschule Religionsunterricht gegeben. Die Kinder dort haben mich immer San Martino genannt. (lacht)

Haben Sie schon einmal Ihren Mantel geteilt?

Den Mantel direkt nicht, den brauch ich selber. Als Pfarrer teile ich die Räume der Kirche und meine Zeit. Auch mit Menschen, die keine Christen sind. Es gibt einen Spruch, nicht nur den Mantel, sondern das Leben zu teilen – und das versuchen wir in der Pfarrei bei allen Aktivitäten zu berücksichtigen. Wir haben die Münchner Tafel, eine Kleidertruhe und auch zwei große Container für Altkleidersammlung. Für die Kinder haben wir beim Martinsfest in diesem Jahr Printen verteilt.

Sie haben das Martinsfest in Ihrer Pfarrei heuer schon gefeiert?

Ja, wir feiern immer am Sonntag vor dem Martinstag, da am 11. November der Volkstrauertag gefeiert wird. Wegen der Pandemie musste der Laternenzug wie schon im letzten Jahr leider abgesagt werden. Stattdessen haben wir aber am St.-Martins-Platz den ganzen Tag ein großes Fest mit Frühschoppen, einem Orchestergottesdienst, einem Martinsspiel mit Mantelteilung und einem kleinen Feuer gefeiert.

Sie haben schon viele Martinsfeste gefeiert. Was war das Kurioseste, das Sie erlebt haben?

In manchen Kirchen ist es üblich, dass das Pferd des heiligen Martin auch mal in die Kirche hereingeführt wird. In Germering gab es einen Landwirt, der uns versicherte, dass er sein Pferd drei Tage vor dem Martinsumzug auf Diät gesetzt hat, damit es unterwegs ja nichts auf den Weg fallen lässt. Das hilft aber nicht immer. Während meiner Zeit als Kaplan ist es schon hin und wieder vorgekommen, dass ein Pferd seine Rossäpfel in der Kirche fallen gelassen hat. So was sorgt natürlich für Heiterkeit.

Der Martinszug ist einer der Höhepunkte im Kindergartenjahr. Wie war das bei Ihnen in Ihrer Kindheit?

Für uns Kinder waren damals die Laternen das Aufregendste. Wir haben immer gefiebert, ob die Kerzen halten oder umkippen. Früher ist schon das ein oder andere Mal eine Laterne in Flammen aufgegangen.

Was hat es eigentlich mit den Laternen auf sich?

Ursprünglich waren die Martinslaternen ausgehöhlte Kürbisse. Es gibt alte Martinslieder, in denen besungen wird, dass Kinder ihre Lichter in die Kürbisse stellen. Am Abend vor Allerheiligen gab es Lichterbräuche. Es ist möglich, dass alte germanische Traditionen hinter Allerheiligen und dem Martinstag stehen. Ich habe einmal in Düsseldorf St. Martin gefeiert, da gehen die Kinder herum und sammeln Guttis, so wie man es von Halloween kennt. Im Rheinland stellen auch die Geschäftsleute ganze Päckchen mit Süßigkeiten vor ihre Läden.

Spielt St. Martin abseits des Festes überhaupt noch eine Rolle in unserem heutigen Leben? Gibt es etwas, das wir von ihm lernen können?

Das Leben von St. Martin ist so interessant, weil es eine europäische Spannweite hat. Martin war der Sohn eines italienischen Offiziers und einer ungarischen Christin, der überwiegend in Tours in Frankreich wirkte. Die Martinsgeschichte zeigt uns, dass wir alle zusammengehören, egal, woher wir kommen. Der Heilige lebt uns Werte vor, an denen wir uns orientieren sollen. Zum Beispiel in den Armen Christus zu sehen. Das muss man erst mal lernen, wenn man einen Bettler sieht. Der heilige Martin zeigt uns, unseren Mitmenschen auf Augenhöhe zu begegnen.

Interview: Verena Möckl

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