Die Mitarbeiter des Rettungsdienstes müssen Corona-Patienten aktuell durch ganz Bayern fahren, weil viele Intensivstationen voll sind. Dabei bekommen sie nicht nur den Frust der Klinik-Mitarbeiter ab – sondern auch den der Patienten, berichtet Martin Noß (37), stellvertretender Rettungsdienstleiter beim BRK Dachau. Die Belastung sei groß, sagt er. Der Frust auch.
Was passiert aktuell, wenn ein Corona-Patient in Bayern den Notruf wählt?
Wir fahren in Schutzausrüstung zu den Patienten und prüfen, ob eine Klinikeinweisung nötig ist. Etwa 70 Prozent der Einsätze sind Notfälle. Die Leitstelle sucht dann ein freies Bett in einer Klinik – das kann aktuell bis zu einer halben Stunde dauern. Oft ist das aber nicht im selben Landkreis. Wir fahren die Patienten zurzeit kreuz und quer durch Bayern. Solange fehlt der Rettungsdienst in seinem Einsatzgebiet.
Die Zahl der Einsätze ist stark gestiegen. Wie können Sie das stemmen?
Die Leitstelle kann bei erhöhtem Bedarf eine Schnelleinsatzgruppe von Ehrenamtlichen alarmieren. Die besetzen weitere Fahrzeuge. Deshalb war die Ausrufung des Katastrophenfalls so wichtig. Denn nur dann sind die Lohnausfallkosten für Ehrenamtliche im Einsatz gedeckt. Bei uns in Dachau ist es aktuell noch nicht so weit gekommen. Aber es zeichnet sich bereits ab, dass die Dauer bis zum Eintreffen des Rettungswagens in Notfällen steigt.
Was passiert, wenn ein Patient nicht stabil genug für einen weiten Transport ist?
Dann kommt es zu einer Zwangsbelegung in einem Krankenhaus. Die Kliniken müssen dann Ressourcen freischaufeln. In solchen Momenten ist die Stimmung sehr angespannt, wenn wir eintreffen. Da prallen eben zwei Systeme aufeinander. Der Rettungsdienst versucht, möglichst schnell wieder frei zu werden. Wir hören ja über Funk, wie Einsätze reinprasseln und ein Fahrzeug nach dem anderen gebunden ist. Wenn Patienten nicht fit genug sind für einen weiten Transport, müssen sie in der nächstgelegenen Klinik erst mal stabilisiert und dann eventuell im Nachgang verlegt werden.
Wie reagieren Patienten, wenn Sie ihnen sagen, dass sie in ein weit entferntes Krankenhaus eingeliefert werden?
Auch bei den Patienten stoßen wir oft auf Unverständnis. Für viele Familien ist es sehr schlimm, wenn ein Angehöriger in eine weit entfernte Klinik gebracht wird. Immer wieder kommt es zu Tragödien, weil Menschen allein im Krankenhaus sterben.
Wie gehen Sie und Ihre Kollegen mit der sehr belastenden Situation um?
Belastende und emotionale Situationen gehören zu unserem Job. In der Regel können wir gut damit umgehen. Aber die Dauer dieser Stresssituation nagt natürlich an uns. Die Kliniken treffen durch die enorme Belastung nicht immer den richtigen Ton. Wir verschärfen ihre Lage mit den Neueinlieferungen ja. Wir müssen gerade viele Stimmungen aushalten.
Meistens sind die Corona-Patienten, die in die Klinik müssen, ungeimpft. Wie sehr frustriert Sie das?
In vielen Situationen ist der Frust groß und das Verständnis gering. Ungeimpfte beginnen sogar in Einsätzen das Diskutieren, immer wieder müssen wir uns auch Verschwörungstheorien anhören. Wir sehen viele Schwerkranke und wissen, wie sehr die Krankenhäuser am Limit arbeiten. Solche Debatten sind für uns schwer zu ertragen, wir sind jedoch professionell genug, um sie nicht ausarten zu lassen. Aber natürlich ist unser Frust groß.
Sie verbringen viel Zeit auf engem Raum mit Corona-Patienten. Wie groß ist Ihre Angst vor Ansteckung?
Die ist relativ gering. Natürlich gab es auch im Rettungsdienst schon Infektionen – zum Glück immer mit mildem Verlauf. Aber wir mussten schon immer mit Infektionsgefahren umgehen können. Natürlich belastet uns die aktuelle Situation aber enorm. Schon allein, weil wir manchmal acht Stunden am Tag Schutzausrüstung tragen müssen. Trotzdem sind meine Kollegen im Rettungsdienst noch hochengagiert.
Wie besorgt blicken Sie auf die kommenden Wochen?
Ich persönlich habe wirklich Angst. Meinen Angehörigen empfehle ich, keinen gefährlichen Sport zu machen, alle Risiken zu vermeiden. Ich kann nicht einschätzen, wie sich die Lage in den Kliniken entwickelt. Wenn der Normalbetrieb noch stärker eingestellt werden muss, zweifle ich daran, dass die Grundversorgung, die wir gewohnt sind, aufrechterhalten werden kann. Interview: Katrin Woitsch