„Impfen statt diskutieren“

von Redaktion

INTERVIEW Apotheker wollen Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten

Die Apotheker wollen beim Impfen helfen. Der Gilchinger Stefan Hartmann kämpft dafür als Präsident des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen seit Jahren dafür – jetzt in der Pandemie energischer denn je. „Mit den bestehenden Strukturen werden wir es nicht schaffen, bis Weihnachten 50 Millionen Menschen zu impfen“, sagt er. „Wir Apotheker wollen unseren Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten.“ Und das wäre innerhalb weniger Tage umsetzbar, erklärt er.

Vor den Impfzentren stehen lange Schlangen, weil Personal fehlt. Sie kämpfen schon lange darum, dass die Apotheker impfen dürfen. Woran scheitert es?

Bisher haben die Ärzte blockiert – wegen standesrechtlicher Bedenken. Sie sagen: Wenn Apotheker impfen dürfen, müssen Ärzte im Notdienst Medikamente ausgeben dürfen. Die Ärzte waren bisher gegen einen Strukturwandel beim Impfen. Allerdings wird der Druck auf die Praxen immer größer, sodass der Gegenwind nachlässt.

Welche Bedenken hat die Politik?

Haftungsrechtliche. Unsere Berufshaftpflicht greift nur für erlaubte Tätigkeiten. Das Impfen gehört nicht dazu. Das ist der Unterschied zum Testen – ein Testangebot durfte jede Shisha-Bar machen. Wir müssten fürs Impfen theoretisch und praktisch ausgebildet werden. Die Erfahrung haben wir, aber es müsste juristisch geregelt werden. In Südtirol dürfen Apotheker seit Kurzem impfen, das Gesetzgebungsverfahren dafür lief seit Mai. Wir haben kein halbes Jahr Zeit, es muss viel schneller gehen – und es ginge auch schneller. Mit einem Notstandsgesetz oder einer Notstandsverordnung. Auch mit der Versicherungswirtschaft habe ich Gespräche geführt. Sobald Apotheker eine Impf-Erlaubnis haben, würde eine Mitteilung an die Haftpflichtversicherung ausreichen.

In anderen Ländern wird sogar im Supermarkt geimpft. Hat Deutschland ein Bürokratie-Problem?

Deutschland hat ein Sitzkreisproblem. Bei uns wird diskutiert, diskutiert, diskutiert. Niemand bringt etwas voran und übernimmt Verantwortung. Die designierte Regierung in Berlin schiebt die Verantwortung derzeit an die Länder und die Länder spielen den Schwarzen Peter wieder nach Berlin. Die Zeit des Redens muss vorbei sein. Wir müssen unsere tradierten Denkmuster verlassen und schnell kreativ werden. In zehn europäischen Ländern dürfen Apotheker bereits gegen Grippe impfen, in acht gegen Covid. Und dann wundern wir uns über die hohen Impfquoten von Portugal und Italien.

Warum kommt es so überraschend, dass so viele Menschen jetzt eine Impfung brauchen? Es war klar, dass Auffrischungen nötig sind und dass die Regeln für Ungeimpfte verschärft werden…

Die Virologen haben im Sommer genau davor gewarnt. Aber Deutschland war im Wahlkampf. Und wir waren alle erschöpft von der Pandemie – wir wollten gute Nachrichten hören. Da nehme ich mich selbst nicht aus. Auch als Apotheker habe ich eine so schlimme vierte Welle nicht kommen sehen.

Wie viele Impfungen würden die Apotheker schaffen, wenn sie einsteigen dürften?

Das ist pauschal schwer zu sagen. Es kommt auf jede einzelne Apotheke an – und ob pragmatische Lösungen möglich sein werden. Als es mit den Testungen losging, haben einzelne Pharmazieräte verboten, dass Apotheken Zelte aufstellen. Solche Diskussionen können wir nicht noch mal führen. Lösungen könnten auch Gemeindesäle oder Veranstaltungsräume sein. Und dann brauchen wir natürlich möglichst viele Menschen, die impfen. Das können auch pharmazeutisch-technische Assistenten sein. Auch Apotheker und Ärzte im Ruhestand haben ihre Hilfe angeboten. Eine Blitzumfrage unseres Verbands hat ergeben, dass sich 50 Prozent unserer Mitglieder-Apotheken vorstellen könnten, zu impfen. Das würde bei 40 Tagesimpfungen etwa 200 000 Impfungen pro Tag bedeuten. Wir würden eigene Impfzentren aufbauen und das mit Online-Terminvergabe, um Warteschlangen zu vermeiden. Dabei könnten wir aus unseren Erfahrungen mit dem Testen profitieren. Meine Vorstellung wäre, dass wir sieben Tage pro Woche und zwölf Stunden am Tag impfen.

Aber Sie brauchen die Leute dafür. Sind die Apotheker nicht jetzt schon sehr ausgelastet?

Es gibt viele Apotheker, die testen oder Impfzertifikate digitalisieren. Die Teams arbeiten alle an oder über den Belastungsgrenzen. Ich bin aber überzeugt, dass viele Kollegen noch mehr Einsatz zeigen würden, weil ihnen die Sache sehr wichtig ist.

Erwarten Sie, dass die Impfquote dadurch deutlich steigen würde?

Absolut. Unser Angebot wäre niedrigschwellig und wäre auch in kleinen Dörfern umsetzbar. Ich habe neulich einen Sonderimpftag in Gilching beobachtet. Eine Ärztin hat fünf Stunden lang geimpft. Sie hat pro Stunde 15 Menschen geschafft. In der Schlange standen mehr als 500. Rund 450 mussten abends heimgeschickt werden. Darunter waren sicher viele, die sich das nicht noch ein zweites Mal antun werden.

Interview: Katrin Woitsch

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