München/Berlin – „Coronavirus-Pandemie: Klare und konsequente Maßnahmen – sofort!“, unter dieser Überschrift hat die Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) drastische Empfehlungen zur Erhöhung der Impfungen und zur Kontaktreduktion veröffentlicht. Neben einer strikten 2G-Regelung in allen öffentlich zugänglichen Innenräumen (Ausnahme Supermärkte, Arztpraxen) sollen auch die Maßnahmen an den Schulen verschärft werden. So schlagen die Wissenschaftler eine komplette Maskenpflicht im Schulgebäude vor, mindestens drei Mal wöchentlich einen Test und ein Vorziehen der Weihnachtsferien.
Letzteren Punkt hört man jetzt öfter. Zwei Bundesländer haben bereits vorgezogene Weihnachtsferien beschlossen. Auch die GEW schloss das nicht mehr aus. „Wenn die Infektionslage es erfordert, kann es notwendig sein, die Weihnachtsferien vorzuziehen“, sagte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern. Auch der CSU-Landesgruppenvorsitzende im Bundestag, Alexander Dobrindt, plädierte für frühere Weihnachtsferien.
In Bayern lehnt Kultusminister Michael Piazolo (FW) dies weiterhin ab. „Schulschließungen wären kontraproduktiv“, betonte er gegenüber unserer Zeitung. „Gerade die Schulen tragen mit den regelmäßigen Testungen zur Eindämmung der Pandemie bei.“ Die Schnelltests an den Schulen hätten auch dazu beigetragen, dass die dritte Welle gebrochen werden konnte. Er beruft sich dabei auf eine Untersuchung des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit. Präsenzunterricht gebe „Halt und Struktur“. Piazolo weiter: „Wir tun alles, um die Schulen offen zu halten.“ Auch die Quarantänezahlen sind gegenüber der Vorwoche stabil – 2,1 Prozent (33 600 Schüler) sind Corona-bedingt zuhause.
Auch die designierte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hält Corona-bedingte Schulschließungen zum jetzigen Zeitpunkt für nicht angebracht. „Sie dürfen nicht das Erste sein, sondern müssen das Letzte sein“, sagte sie RTL/ntv. Auch vorgezogenen Weihnachtsferien erteilte sie eine Absage. Der Gymnasiast Nevio Zuber leitet die CSU-nahe Schüler-Union und hat ein „Bekenntnis zum Präsenzunterricht“ verschickt. „Die jüngere Generation hat bereits einmal die Konsequenzen der Pandemie getragen, dies soll nicht erneut geschehen“, heißt es darin.
In München betrachtet der Vorsitzende des Lehrer- und Lehrerinnen-Bezirksverbands MLLV, Martin Schmid, die Diskussion mit Sorge. Der Grund: Das Kultusministerium favorisiert anstelle des Videokonferenzsystems MS Teams nun das neue, in Bayern entwickelte System Visavid. Das könnte schwierig werden, falls die Schulen doch schließen und zum Distanzunterricht verpflichtet werden. „MS Teams ist das wesentlich bessere System“, sagt Schmid. Die Stadt München als Sachaufwandsträger der städtischen Schulen hat zugesichert, weiterhin MS Teams zu finanzieren, andere Städte und Landkreise tun dies nicht. Visavid sei wegen der Datensicherheit geeignet für „datenrelevante“ Konferenzen wie etwa einen Elternsprechtag oder eine Notenkonferenz, aber nicht für normalen Distanzunterricht, sagt der Computerexperte des MLLV, Florian Zeindl.
Gravierender Nachteil sei, dass es keine Visavid-App gebe und Lehrer an Schüler Links verschicken müssten, um sie zur Teilnahme am Fernunterricht „einzuladen“. Viele Schüler hätten gar keine E-Mail-Adresse, um sich live zuschalten zu können. Er hoffe, dass den Schulen der Distanzunterricht erspart bleibe, resümiert der MLLV-Vorsitzende Schmid.