Buchbach/Ohio – Ein 16-Jähriger geht als Gastschüler in die USA, das ist nichts außergewöhnliches. Doch bei Leander Klingner steckt eine besondere Geschichte dahinter. Denn er lebt gerade bei derselben Gastfamilie wie schon sein Vater vor 34 Jahren.
Sacha Klingner war damals Stipendiat des Parlamentarischen Programms, das heute noch den Austausch von Schülern in ferne Länder fördert. Er wurde einer Gastfamilie in Ft. Wayne im US-Bundesstaat Indiana zugeteilt, hatte sich aber eigentlich an der Westküste als Surfer gesehen. Gelandet ist er im Mittleren Westen – im Church Belt, einer Region mit hohem konservativ-christlichen Bevölkerungsanteil.
Wendy und Tom Feusse waren damals nur rund 15 Jahre älter als der 16-jährige Sacha Klingner. Sie begrüßten den Teenager aus Deutschland gemeinsam mit ihrem Baby Dan herzlich. „Das Jahr 1987/88 ist eines meiner schönsten geworden“, erinnert sich 50-jährige Klingner heute noch gerne.
Inzwischen besucht sein Sohn Leander Klingner, der am Gymnasium Dorfen (Kreis Erding) gerade ein Jahr Pause einlegt, die Highschool in Columbus in Ohio und erlebt ebenfalls die beste Zeit seines Lebens. „Es ist eine Wahnsinns-Erfahrung“, schwärmt er. „Ich habe in den fünf Monaten hier mehr erlebt, als die 16 Jahre davor.“ Besonders begeistert ihn der Zusammenhalt in der Schule und das freundschaftliche Verhältnis zu den Lehrern. „Man verbringt den ganzen Tag in der Highschool, aber das kommt einem nicht so vor, weil Schule hier eben nicht nur aus Lernen besteht.“
Sein Gastvater Tom Feusse und dessen Frau Wendy erzählen gerne die Geschichte von dem generationenübergreifenden Schüleraustausch, den sie gerade erleben – und ernten dafür viel Staunen. „Wir wollten Leander ein gebrauchtes Fahrrad für seinen Aufenthalt hier kaufen. Als ich dem Händler unsere Geschichte erzählte, war der so begeistert, dass er uns das Fahrrad schenkte, obwohl ich protestiert habe“, erzählt der 62-Jährige lachend. „Die Leute hier sind wirklich unglaublich freundlich und offen“, berichtet auch Leander Klingner.
Für ihn ist es etwas besonderes, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. „Einerseits hatte ich es natürlich leichter als andere Austauschschüler, weil ich die Familie Feusse mein Leben lang kenne“, sagt er. Andererseits habe er aber auch mehr zu verlieren. „Ich weiß um die besondere Beziehung zwischen unseren Familien und bin wirklich sehr darauf bedacht, dass ich mich anständig benehme und keinen Quatsch mache.“
Wendy Feusse fühlt sich ein bisschen in die Zeit von damals versetzt, sagt sie. Vater und Sohn hätten schon viele Ähnlichkeiten. „Bei Sacha waren wir sehr junge Gasteltern, heute relativ alte. Aber wir genießen es gerade sehr, unser Land noch mal aus den Augen eines staunenden 16-Jährigen zu erleben“, sagt Tom Feusse. Er denkt zum Beispiel an den Moment, als Leander mit offenem Mund vom Rockefeller Center herab den Central Park und Manhattan bestaunte.
Sacha Klingner war vor 34 Jahren der erste Austauschschüler der Feusses. Es folgten noch weitere, doch mit keinem entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft – auch wenn der Kontakt ebenfalls noch besteht. „Sacha hat uns die darauffolgenden acht Sommer immer wieder besucht. Für unsere vier Kinder wurde er der große Bruder aus Deutschland.“ Drei von ihnen verbrachten mehrere Monate bei Familie Klingner in Buchbach (Kreis Mühldorf), haben Praktika absolviert und die bayerische Kultur kennengelernt. „Seitdem sind unsere beiden Söhne hier in USA auf der Suche nach Augustiner Bier“, erzählt Tom Feusse lachend.
Die Kinder der Feusses sind inzwischen zwischen 26 und 24 Jahre alt, alle haben Partner aus einem anderen Kontinent. „Diese Internationalität geht auch auf unsere Beziehung zu Sacha zurück“, sagt der 62-jährige Manager. „Er kam nicht nur zu uns, wir sind auch viel in Europa gewesen, haben gemeinsam Urlaube verbracht und machen das heute noch. Das hat auch unsere Kinder geprägt.“
Und auch auf Leander hatte der Austausch von damals großen Einfluss. „Ich wusste schon in der Grundschule, dass ich auch nach Amerika will wie mein Papa“, sagt der 16-Jährige schmunzelnd. Sacha Klingner freut sich darüber sehr und sagt: „Ich bin gespannt, wie viele Kinder und Enkel in den kommenden Jahrzehnten noch den Ozean für einen Austausch zwischen unseren beiden Familien überqueren werden.“