München – Als im Corona-Winter 2020/21 die heimischen Skigebiete zwar ihre Pisten hergerichtet hatten, wegen politischer Vorgaben aber nirgendwo Lifte laufen durften, stiegen viele Alpinskifahrer auf Pisten-Skitouren um. Ob am Kreuzeck in Garmisch, am Jenner in Berchtesgaden oder am Brauneck in Lenggries, einen Winter lang gehörten die Skipisten allein den Tourengehern.
Das wird sich in den nächsten Wochen wohl ändern – mit dem Konfliktpotenzial, dass so viele Skitouren-Novizen wie noch nie zuvor mit Abfahrern auf Kollisionskurs gehen. Über „Lenkungssysteme für Pistenskitouren“ diskutierte in München jetzt eine Expertenrunde. Nur am Pistenrand aufsteigen oder auf extra ausgewiesenen Aufstiegsrouten, Hunde an die (kurze) Leine nehmen, Sperrungen wegen Pistenpräparation beachten: Dies sind die drei wichtigsten Grundregeln für Pistenskitouren. „Wer sich daran hält, stört die Pistenfahrer fast gar nicht – es gibt ein auskömmliches Miteinander“, sagte Klement Fend, Geschäftsführer der AktivArena am Kolben in Oberammergau (Landkreis Garmisch-Partenkirchen), bei der Expertenrunde im neuen Dynafit-Store in München.
Seit zwölf Jahren bieten sie am Kolben eine eigene Aufstiegsroute für Tourengeher an, „weil wir rechtzeitig erkannt haben, dass dieser Trend nicht zu bremsen ist“. Fends Fazit: „80 bis 90 Prozent der Leute halten sich an die Regeln.“ Um den kleinen Rest, der das nicht tut, geht es. „Wir haben eine spannende Saison vor uns, weil sich erstmals viele der Neu-Tourengeher die Pisten mit den Liftnutzern teilen müssen“, sagt Thomas Bucher, Pressesprecher des Deutschen Alpenvereins. Er glaubt aber auch: „Die Probleme sind lösbar.“
Über die Hälfte der 48 Skigebiete in Bayern hätten inzwischen offizielle Aufstiegsrouten. Die werden zum Teil sogar extra beschneit, damit die Lenkungsmaßnahmen nicht unter Tauwetter leiden. Was die Lift- und Bergbahnbetreiber am meisten stört, ist der fehlende Reibach: Tourengeher nutzen die aufwendig präparierten Pisten, kaufen aber kein Liftticket. Eine (von Bergbahnbetreibern vorgeschlagene) Pistennutzungsgebühr wäre juristisch unzulässig, betont Thomas Bucher: „Pisten sind freier Naturraum, das ist rechtlich geklärt und wird sich in naher Zukunft nicht ändern. Deshalb empfehlen wir Liftbetreibern, sinnvolle Konzepte umzusetzen und Services wie Parkplätze, Beschneiung oder Hütten anzubieten, um das Pistentourengehen zu monetarisieren. Die Skitourengemeinde akzeptiert immer besser, dass die Infrastruktur in Skigebieten nicht kostenlos sein kann.“
Der größte Hebel, das haben die Skigebiete inzwischen erkannt, sind Parkplatzgebühren. Fünf Euro am Spitzingsee, 15 Euro in Garmisch – das ist die aktuelle Preisspanne. Das allein reiche aber nicht, findet Thomas Hetteger, Vorstand der Berchtesgadener Bergbahnen, der „an einem guten Tag rund 1000 Tourengeher auf der Piste zählt“.
Man brauche „intelligente Lösungen“ über die Parkplatz-Stellschraube hinaus: „Wir haben ein Tourengeher-Saisonticket für 199 Euro eingeführt, damit kann der Inhaber des Tickets die Kabinenbahn nutzen, wenn zum Beispiel an der Talstation kein Schnee mehr liegt. So erhalten die Tourengeher ein Service-Paket mit konkreten Leistungen – dafür erfahren wir viel Zuspruch.“
Ähnlich handhaben sie es am Sudelfeld bei Bayrischzell, wie Prokuristin Katharina Waller berichtet: „In der kommenden Wintersaison werden wir fünf Euro Parkplatzgebühr einführen und bieten zusätzlich für 210 Euro ein Tourengeher-Ticket an, das 30 Stunden Liftnutzung und freies Parken inkludiert.“
Was den Spitzingsee angeht: „Wir versuchen, am Taubenstein-Gebiet, in dem der Lift im Winter stillgelegt ist, einen Skitourenpark zu entwickeln, um die angespannte Parkplatzsituation in den Skigebieten zu entzerren“, sagt Harald Gmeiner, Vorstand der Alpenregion Tegernsee Schliersee.
Dass der Skitouren-Boom wieder abflacht, damit rechnet niemand. „Die Tourengeher gab’s schon vor den Liften“, sagt Harald Gmeiner, „nur hat ihre Zahl so sehr zugenommen, dass wir sie kanalisieren müssen.“ Kurios, aber gut fürs Geschäft: Etwa zehn Prozent der Tourengeher legen den Fokus allein aufs Aufsteigen, sie fahren mit der Bahn ins Tal statt auf Skiern. „Pistentouren haben sich als eigene Sportart herauskristallisiert“, weiß Benedikt Böhm, Chef des Skitouren-Ausrüsters Dynafit. „Mehr als die Hälfte unserer Produkte werden nur auf Pisten und nie im freien Gelänge eingesetzt.“
Besonders Familien würden den Mix aus naturnaher Aufstiegsroute, Hütteneinkehr und lawinensicherer Pistenabfahrt schätzen, aber auch viele Senioren. Das Fazit der Expertenrunde formulierte Klement Fend so: „Die Skitourengeher sind da, also müssen wir die mögen.“
Und da es sich durchaus um eine solvente Klientel handele (eine komplette Skitourenausrüstung kostet bis zu 2000 Euro), lasse sich mit den Tourengehern über attraktive Infrastruktur (saubere Toiletten am Parkplatz, beschneite Aufstiegsrouten, Lift-Aktionstickets, Tourengeherabende mit Hüttengaudi) durchaus Geld verdienen. „Wenn’s hinten stimmt, wird vorn bezahlt“, glaubt Klement Fend, „das Parken entwickelt sich zum neuen Kerngeschäft der Skigebiete.“