Hochsensibel: Wenn man zu viel fühlt

von Redaktion

VON JENNIFER BATTAGLIA

Weilheim – Sie wusste schon immer, dass sie anders war. Schon als Kind hatte man ihr gesagt, dass sie ein Sensibelchen sei. Jedes Wort würde sie auf die Goldwaage legen. „Ich habe mich gefragt, was mit mir nicht stimmt“, sagt Katharina Schneider (Name geändert). Die Ungewissheit hat die 42-Jährige lange belastet. Erst vor wenigen Jahren fand sie eine für sie stimmige Antwort. „Ich bin hochsensibel“, sagt die Weilheimerin.

Menschen, die Reize intensiver als andere wahrnehmen, werden von Psychologen als hochsensibel beschrieben. Geprägt hat den Begriff die amerikanische Psychologin Elain Aron Ende der 1990er-Jahre. Hochsensibilität ist jedoch keine Krankheit und nicht unumstritten. Zwar legen Studien nahe, dass bei hochsensiblen Menschen gewisse Gehirnareale stärker aktiviert werden, die Forschung dazu steckt aber noch in den Kinderschuhen.

Für Katharina Schneider macht es keinen Unterschied, ob Hochsensibilität offiziell anerkannt ist oder nicht. Sie hat durch ihre Diagnose ein Stück weit zu sich selbst gefunden. „Endlich weiß ich, was mit mir los ist“, sagt sie.

Wie viele andere Hochsensible reagiert Schneider stark auf äußere und innere Reize. Lärm macht der Weilheimerin besonders zu schaffen. Ein laut aufgedrehter Fernseher kann sie an ihre Grenzen bringen. „Das ist wie eine Welle, die über mich schwappt“, sagt sie. „Dann muss ich raus aus der Situation und brauche Abstand.“

Nicht immer klappt das. Damit sie von den Reizen nicht überfordert wird, muss sich Schneider bewusst Auszeiten im Alltag schaffen. „Sobald die Kinder versorgt sind, brauche ich Ruhephasen für mich “, sagt die dreifache Mutter. Sie geht dann in der Natur spazieren oder hängt ihren Gedanken nach. „So komme ich wieder runter und kann mich erden“, sagt Schneider. Guter und ausreichend Schlaf sei zudem wichtig, um sich zu entspannen.

Ihr Schmerzempfinden beschreibt Schneider als hoch. „Wärme und Kälte spüre ich sehr stark.“ Und auch was Gefühle angeht, ist die Weilheimerin sehr feinfühlig. „Ist jemand traurig oder bedrückt, merke ich das sofort.“ Oft leidet sie regelrecht mit, wenn es einer Freundin schlecht geht. Oder sie weint aus Freude. „Das verstehen viele gar nicht“, sagt sie.

Von ihrer Umgebung werden Hochsensible oft missverstanden. Die intensiven Emotionen und Stimmungsschwankungen können Außenstehende nur schwer nachvollziehen. „Das Wichtigste ist deshalb, dass sich hochsensible Menschen annehmen, wie sie sind“, sagt Rosalia Maier. Die Psychologin aus Pöcking (Landkreis Starnberg) hat im Laufe ihrer Tätigkeit viele Betroffene kennengelernt und gibt Vorträge über Hochsensibilität an Volkshochschulen. „Hochsensible können sich Reizen regelrecht ausgeliefert fühlen“, sagt sie. „Das kann so weit gehen, dass sie dadurch körperliche Schmerzen verspüren.“ Sich vor Reizüberflutung zu bewahren ist deshalb für Betroffene sehr wichtig.

Hochsensibilität kann vererbt werden, sagt Maier. Wissenschaftlich bewiesen ist das bisher aber noch nicht. Laut der Psychologin ist ungefähr jeder Sechste hochsensibel. „Wobei es da große Unterschiede gibt.“ Manche Menschen seien nur lärmempfindlich. „Viele wissen es auch nicht und stoßen dann eher durch Zufall darauf“, sagt Maier.

So war es auch bei Katharina Schneider. Ihren erlernten Beruf als Kinderpflegerin kann sie durch ihre stärker gewordene Hochsensibilität nicht mehr ausüben. „Den Geräuschpegel würde ich nicht aushalten“, sagt sie. Sie wünscht sich, dass mehr Menschen über Hochsensibilität Bescheid wissen. In Bayern gibt es für Betroffene bereits viele Vereine und Selbsthilfegruppen. Dazu gehört beispielsweise der Verein „Münchner Zentrum für Hochsensibilität“. Im Frühjahr soll eine Selbsthilfegruppe in Weilheim gegründet werden. Katharina Schneider wird dabei sein. „Der Austausch mit anderen hilft“, sagt sie. „Und man merkt dadurch, dass Hochsensibilität nichts Schlimmes ist.“

Kontakt

unter 08 81/6 81 16 16 oder selbsthilfebuero@lra-wm.bayern.de anmelden.

Artikel 3 von 11