München – Das war nicht die Stellungnahme, die Matthias Katsch, Sprecher der Opferinitiative „Eckiger Tisch“, von Benedikt XVI. gefordert hatte. Der frühere Papst habe sich nur dafür entschuldigt, dass er – anders als zuvor erklärt –, doch an jener Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 teilgenommen habe (siehe Dokumentation im Kasten). Jener Sitzung, an der über die Aufnahme von Pfarrer Peter H. gesprochen wurde, der sich wegen sexuellen Missbrauchs in München einer Therapie unterziehen sollte. „Entschuldigen müsste er sich eigentlich für den ganzen Vorgang, denn er ist mit dafür verantwortlich, dass dieser Priestertäter anschließend jahrzehntelang Kinder im Bistum gefährden konnte“, sagte Katsch gestern. „Das ist ja der eigentliche Skandal.“
Auch im Erzbistum war man nicht glücklich mit der überraschenden Stellungnahme des emeritierten Papstes. Offiziell gibt es freilich keine Stellungnahme. Hinter den Kulissen, so hört man, laufen heftige Auseinandersetzungen zwischen denen, die in wirklichen Reformen und einem grundsätzlichen Systemwechsel in der Kirche die Rettung sehen. Und denen, die sich gegen die „Angriffe von außen“ abschotten und die Kirche in ihrer bisherigen Form erhalten wollen.
Dabei sehen auch viele Bischöfe die Lage der Kirche inzwischen als katastrophal an. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der auch Missbrauchsbeauftragter der katholischen Kirche ist, betont mit Blick auf das Münchner Gutachten: „Es erschüttert mich einmal mehr, schwarz auf weiß zu sehen, welches Leid Menschen in unserer Kirche erfahren haben und erfahren.“ Dass auch einem ehemaligen Papst schwere Verfehlungen vorgeworfen werden, sei für viele Gläubige kaum mehr zu ertragen.
Noch in der Nacht zum Montag hatte die Reformgruppe „Maria 2.0“ in München eine Stellungnahme verschickt, in der sie den emeritierten Papst auffordert, auf die Verwendung seines päpstlichen Namens, die Insignien und Titel zu verzichten. „Unverzeihlich ist, was in seiner Amtszeit als Erzbischof (nicht) geschah“, heißt es dort. Joseph Ratzinger habe in seiner ersten Stellungnahme gegenüber den Gutachtern „sexuellen Missbrauch Minderjähriger auf geradezu dreiste Weise verharmlost“.
Für Renate Spannig, Sprecherin von „Maria 2.0“ in München, ist Benedikts „Korrektur“ nur „ein hilfloser Versuch, die eigene Haut zu retten“. Das sei für sie gar nicht mehr entscheidend, was noch an Erklärungen vorgebracht werde. Die Reformfrauen stünden an der Seite der Missbrauchsbetroffenen. „Wenn man die Geschichten von den Menschen hört, die als Kinder nicht geschützt waren und ein Leben lang Schäden davontragen, dann ist es einfach lächerlich, wenn Joseph Ratzinger immer noch herumrudert, was er wann vielleicht doch gesagt haben könnte.“ Es wäre jetzt einfach notwendig, die Schuld einzugestehen und alles zu tun, „damit jetzt wenigstens die Betroffenen zu ihrem Recht kommen“. Und zu Entschädigungen, um Therapien bezahlen zu können. Jetzt gehe es darum, die Machtstrukturen abzubauen. Es müsse eine Kirche ohne Angst und mit demokratischen Strukturen aufgebaut werden, fordert sie.
Von allen anderen Verantwortungsträgern des Erzbistums, denen Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsopfern nachgewiesen worden sei, erwartet „Maria 2.0“ ebenfalls persönliche Konsequenzen. Den Rücktritt von Kardinal Reinhard Marx, dem in zwei Fällen Fehlverhalten vorgeworfen wird, fordern sie jedoch nicht. Es sei nicht damit geholfen, dass jetzt Köpfe rollen, so Spannig gegenüber unserer Zeitung. Kardinal Marx solle seine Hausaufgaben machen und „jetzt die Reformen anstoßen, von denen er bei seinem Rücktrittsgesuch gesprochen hat“.
Die Bewegung „Wir sind Kirche“ fordert, dass sich Joseph Ratzinger der Gesamtverantwortung stellen müsse. Der Sekretär von Benedikt XVI., Erzbischof Georg Gänswein, hat eine weitere Stellungnahme angekündigt, wenn der emeritierte Papst das Gutachten studiert habe. Am Donnerstag wird sich Kardinal Marx öffentlich äußern.