G7-Gipfel als Fluch und Segen

von Redaktion

VON PETER REINBOLD

Garmisch-Partenkirchen/Krün – Ein gebranntes Kind ist Michaela Nelhiebel. Die Ereignisse aus dem Juni 2015, als der G7-Gipfel, das Treffen der Staatsmänner der sieben wichtigsten Industrienationen der westlichen Welt, zum ersten Mal in Schloss Elmau (Landkreis Garmisch-Partenkirchen) stattfand, haben sich in ihrem Kopf festgesetzt. Unauslöschlich. Berlin oder das G20-erprobte Hamburg – beide Städte wären Nelhiebel mit Sicherheit lieber als die Nobelherberge, die auf Flur der Gemeinde Krün liegt, und die vom 26. bis 28. Juni erneut Tagungsort ist.

Dort entstehen die schönen Bilder von hochrangigen Politikern im Idyll der bayerischen Berge. Garmisch-Partenkirchen, wo sich 2015 zum größten Teil die massiven Gegendemonstrationen gegen das Spektakel auf Schloss Elmau abspielten, könnte erneut Hotspot der G7-Gegner werden. Negativwerbung für einen Weltkurort, der von der heilen Welt, die er den Touristen suggeriert, lebt.

Die ist für Nelhiebel aus den Fugen geraten. Es ist ein Blick zurück im Zorn und einer nach vorne, der die identischen Gefühle auslöst. „Für uns ist der G7-Gipfel fürchterlich. Erst Corona und jetzt das. Auf die Pest folgt die Cholera. Das ist nicht lustig“, sagt die Vorsitzende der Werbegemeinschaft Garmischer Zentrum. Nelhiebel, die zahlreiche Geschäftsleute vertritt, befürchtet ähnliche Verluste wie 2015. Das Ergebnis einer von ihr vorgenommenen Umfrage förderte zutage, dass im Monat des Gipfeltreffens vor fast sieben Jahren Umsatzeinbrüche von 25 bis 49 Prozent in den Büchern der Einzelhändler standen. Diesmal könnte es noch schlimmer kommen, schwant ihr. 2015 ging der Gipfel Anfang Juni (6./7.) über die Bühne, diesmal Ende des ersten Halbjahrs. In Nordrhein-Westfalen beginnen just an diesem Wochenende die Sommerferien. „Eigentlich könnten wir von 20. bis 28. Juni zusperren. Es kommt eh keiner“, sagt Nelhiebel.

Keine Touristen – kaum Umsatz im Einzelhandel und in der Gastronomie. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Demonstranten oder Polizisten dieses Minus wettmachen werden“, flüchtet sie sich in Galgenhumor. „Wir Geschäftsleute sind die Leidtragenden.“ Ob die finanziellen Mindereinnahmen von Staatsseite ausgeglichen werden – mehr als fraglich. „Diesmal muss Geld kommen“, fordert Nelhiebel. In München und Berlin hat man die Nöte des Einzelhandels nicht auf dem Schirm, eher die der Gastronomie. Ein Sprecher von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verweist ans Wirtschaftsministerium. Von dort kommt die klare Ansage: „In diesem Zusammenhang werden finanzielle Kompensationen der Staatsregierung für Hotellerie und Gastronomie noch geprüft.“

Um sich damals vor dem befürchteten Vandalismus gewaltbereiter Demonstranten zu schützen, hatten viele Geschäftsleute in der Garmischer Fußgängerzone ihre Schaufenster mit Holzplatten verrammelt oder die Rollläden runtergelassen. Dass bis auf einige Schmierereien kaum Schäden zu verzeichnen waren – zum einem ein Glücksfall, zum anderen wohl der guten Polizeiarbeit zu verdanken. „Es ist nicht gesagt, dass es diesmal ähnlich verläuft“, sagt Nelhiebel, die vermutet, die Demonstranten werden 2022 aus sehr heterogenen Gruppen bestehen. Sie verlangt von der Bayerischen Staatsregierung eine „Patronatserklärung“, dass sie für Schäden aufkommt, die durch aggressive Demonstranten entstehen. „Beim letzten Mal mussten wir selbst teure Versicherungen abschließen.“

Die Hotellerie hingegen scheint vom G7-Gipfel zu profitieren. Alle 11 500 Betten, über die der Markt verfügt, sind ausgebucht. „Wir können die Nachfrage nicht bedienen“, sagt Daniel Schimmer, Ortsvorsitzender des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands. „Etliche G7-Mitarbeiter müssen in Beherbergungsbetriebe in die Nachbarlandkreise ausweichen.“ In seinem Hotel – er managt den Garmischer Hof – sind 30 Prozent der Kapazität durch den G7 belegt, der Rest mit Touristen und Gästen, die die Passion in Oberammergau besuchen wollen. „Stornierungen wegen des Gipfels gab’s keine.“

Zu den Gipfel-Verlierern werden Schimmer zufolge die Gastronomen in und um Garmisch-Partenkirchen zählen. „Polizisten gehen nicht essen. Die werden verpflegt. Dieses Geschäft fehlt den Restaurants und Gasthäusern.“

Finanzielle Einbußen – die werden wohl auch der Markt Garmisch-Partenkirchen und die Gemeinde Krün erleben. Schimmer, der für die Freien Wähler dem Gemeinderat des Olympiaorts angehört, befürchtet einen Einbruch bei den Kurbeiträgen. „Der muss ausgeglichen werden“, sagt er. Er erwartet, analog 2015, Finanzhilfen für Infrastrukturmaßnahmen. Damals übernahm der Bund zum Beispiel die Sanierung der Toiletten im Olympiaeisstadion, das den internationalen Medien als Pressezentrum diente und das zu diesem Zweck auch diesmal wieder im Gespräch ist.

Krün ist bereits einen Schritt weiter und schon in den Genuss von finanziellen Zuwendungen gekommen. Der Ort, in dem der damalige US-Präsident Barack Obama auf dem Rathausplatz inmitten der Bevölkerung an alkoholfreiem Weißbier nippte, erhält für zwei neue Feuerwehrfahrzeuge, die rund 800 000 Euro kosten, eine Förderung von 70 Prozent. Die Krüner müssen auf dem neuesten Stand der Technik sein. Immerhin sind sie die Ersten, die ausrücken, wenn in Schloss Elmau Feuer unterm Dach ist.

Das G7-Füllhorn wird in puncto Feuerwehr nicht nur über Krün ausgeschüttet. Wie es heißt, dürfen sich auch die Brandschützer in Mittenwald, Wallgau, Ohlstadt und Farchant über diverse Gipfel-Brummis freuen. Der G7-Gipfel kann also nicht nur Fluch, sondern auch Segen sein. Je nach Sichtweise.

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