Murnau – Martin Dotzer ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert Notarzt. Seine Leidenschaft dafür hat er nie verloren. Im Gegenteil. Und trotzdem kann er verstehen, dass immer weniger junge Ärzte sich für diese Arbeit entscheiden. Freizeit und Familienleben haben eine größere Bedeutung. „Früher sind viele junge Menschen über den Zivildienst zum Rettungsdienst gekommen und geblieben“, berichtet er. Auch das fällt heute weg. Und dann ist da natürlich noch der Faktor Geld. Für den Bereitschaftsdienst bekommt ein Notarzt eine Pauschale von knapp 30 Euro pro Stunde, dazu kommt noch eine zweistellige Summe pro Einsatz. In großen Städten wie München rechnet sich das. In ländlichen Regionen mit wenig Einsätzen eher nicht. „Ein Arzt, der in einem Impfzentrum arbeitet, hat in fünf Stunden so viel verdient wie in 24 Stunden Notfallbereitschaft“, erklärt Dotzer. Dazu kommt, dass der Dienst im Impfzentrum planbar und deshalb für viele attraktiver ist.
Doch die Notarzt-Versorgung war schon vor Pandemie-Zeiten angespannt. Dotzer ist nicht nur Arzt an der Unfallklinik in Murnau, sondern auch im Vorstand der AGBN – der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte. Er beobachtet seit mindestens fünf Jahren, dass es immer schwieriger wird, die Schichten zu besetzen, sagt er. Die großen Städte hätten dieses Problem weniger. Dort seien die Personalschlüssel an den Kliniken besser – und die Einsatzwege kürzer. Aber gerade in ländlichen Regionen gibt es oft unbesetzte Notarzt-Standorte.
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern ist für die Einteilung der 229 Notarzt-Standorte zuständig und sieht die notärztliche Versorgung in Bayern nicht gefährdet. Gegenüber dem BR hatte sie betont, dass vergangenes Jahr 96 Prozent aller Dienste besetzt waren. Auch Dotzer kennt diese Statistik. Er sagt: „Selbst, wenn nur vier Prozent der Schichten unbesetzt sind, bedeutet das Tage, an denen ein Notarzt mehrere Standorte übernehmen muss“ – und im schlimmsten Fall ein Patient keinen Notarzt bekommt. „Hilfe gibt es für Patienten immer, wenn sie den Notruf wählen“, betont Dotzer. Es ist gesetzlich geregelt, dass der Rettungsdienst innerhalb von zwölf Minuten vor Ort sein muss. In diesem Gesetz sei der Notarzt aber nicht enthalten. „Das Notarzt-System ist historisch gewachsen.“ Weil es eben immer wieder Situationen gibt, in denen es gut ist, wenn zusätzlich auch ein Notarzt vor Ort ist.
Martin Dotzer arbeitet als Leitender Arzt der Anästhesie im Klinikum Murnau. Notarzt-Bereitschaft hat er in seiner Freizeit. „Kein Arzt ist ausschließlich als Notarzt tätig“, erklärt er. „Das ist mehr eine Berufung als ein Beruf.“ Zumindest war es für ihn so. Er hat nie mit dem Gedanken gespielt, diese Tätigkeit aufzugeben. So ist es auch bei seinen Notarzt-Kollegen, sagt er. Nur Nachwuchs zu finden, werde immer schwerer. „Junge Leute müssten leichter an die Qualifikation kommen können“, sagt er. Sein Klinikum übernimmt die Kosten für die Ausbildung, aber das ist nicht in allen Krankenhäusern so. Und auch die Einsätze müssten finanziell attraktiv sein. „Sonst wird sich unser Notarzt-System in den kommenden zehn Jahren verändern müssen“, sagt Dotzer. Auch Tele-Medizin könnte eine Entlastung sein, glaubt der 58-Jährige. „Aber es wird immer Einsätze geben, bei denen das manuelle Geschick vor Ort gefragt ist.“