Bayerns jüngstes Holzhochhaus

von Redaktion

VON THERESA KUCHLER

Kempten – Die Januarsonne strahlt durch die großen Holzfenster in Vanessa Hanzels Wohnung. Von den eisigen minus zwei Grad, die das Thermometer draußen anzeigt, ist hier drinnen nichts zu spüren. Und das, obwohl nicht einmal die Heizung läuft. „Wir müssen so gut wie nicht heizen“, sagt sie. „Das Holz strahlt schon von sich so eine Wärme aus.“

Erst vor wenigen Monaten haben Vanessa Hanzel und ihr Ehemann Nico die gut 75 Quadratmeter im fünften Stock des Hochhauses in Thingers, einem Kemptner Stadtteil, bezogen. Drei Zimmer, offene Küche, Bad, Gäste-WC, kleiner Balkon. Eine massive Holzdecke zieht sich über alle Räume. Sie ist ein Indiz für das, was das siebengeschossige Wohnhaus so besonders macht: Bis auf den Keller und die Treppenläufe besteht das 21 Meter hohe Gebäude mit dem Namen „Wohnen am Weiher“ nämlich ganz aus Holz.

350 Fichten aus dem Allgäu hat die Bauherrin, die Sozialbau GmbH Kempten, zu Brettschichtholz-Bauteilen für Decken und Wände verarbeiten lassen. Sogar der Aufzugschacht, der die Personen barrierefrei vom Untergeschoss bis in die oberste Etage befördert, wurde in Holzbauweise errichtet. „Das finde ich besonders bewundernswert“, sagt Hanzel. Sie hat selbst Architektur an der Augsburger Hochschule studiert. „Wegen der Brandschutzverordnungen ist das nämlich gar nicht so einfach durchzubekommen.“

Tatsächlich forderte der Brandschutz das Bauvorhaben heraus: Der Brandschutzbeauftragte Michael Merk hat die Bauteile aller Materialien geprüft und die jeweilige Zulassung eingeholt. Die bayerische Bauordnung hatte für Holzhäuser in dieser Höhe zu diesem Zeitpunkt noch kein eigenes Regelwerk. Letztlich verlief aber alles nach Plan und binnen eines Jahres stand das erste Allgäuer Vollholzhochhaus.

Die ersten Bewohner sind Ende September in die 21 Mietwohnungen mit zwei, drei oder vier Zimmern eingezogen. „Wir haben uns im Mai beworben. Wir waren früh dran und konnten uns sogar aussuchen, auf welches Stockwerk wir wollen“, erzählt die 23-Jährige. Klar war: Das junge Paar will hoch hinaus. Wenn schon Hochhaus, dann auch eine Wohnung mit Ausblick. „Die fünfte Etage fand ich ideal, weil dort der Balkon von oben geschützt ist und wir trotzdem einen tollen Blick haben.“

Den möchte Hanzel zeigen, sie geht in die offene Wohnküche durch die große Fenstertür nach draußen. Auf hellen, schmalen Holzdielen betritt sie den Bereich im Freien, der im Sommer wie ein zusätzlicher Raum ist. Geradeaus, nach Westen, eröffnet sich ein Panorama auf unbebaute Wiesen und den kleinen Entenweiher. Richtung Süden sieht man die Berge. „Das ist richtiges Allgäu-Feeling hier.“ Nach Jahren in Augsburg hatte die gebürtige Kemptnerin ihre Heimat vermisst. Mit der Entscheidung, in das neue Vollholzhaus zu ziehen, sind sie und ihr Mann überglücklich. „Hier fühlen wir uns richtig daheim.“ Die gut 1000 Euro Miete im Monat finden sie angemessen.

Es war vor allem Vanessa Hanzels Idee, sich bei der Sozialbau für eine Wohnung zu bewerben. „Ich war schon immer ein Holzfan und bin auch in einem Holzhaus aufgewachsen“, sagt die 23-Jährige. Dass sie den Rohstoff mag, sieht man auch an den Möbeln: Holzbett, Holztisch, Holzstühle – das nachhaltige Material dominiert.

Die Decke in der neuen Wohnung gefällt der jungen Frau besonders gut. Sie blickt nach oben, zu den hellen Fichtenbrettern. „Leider sieht man ja nur noch dort so schön das Holz“, meint Hanzel und seufzt. Aus Brandschutzgründen mussten die Wände mit Gipskarton verkleidet werden. „Aber auch, wenn das Holz nicht überall sichtbar ist – spüren tut man es trotzdem.“

Als besonders angenehm empfindet sie das Raumklima. „Das Holz speichert die Wärme und gibt sie ab“, meint Hanzel. Die Heizung haben sie und ihr Mann bislang kaum eingeschaltet, „nur bei absoluten Minusgraden“. Und auch an ganz praktischen Dingen merkt Vanessa Hanzel, dass sie in einem Holzhaus wohnt. Etwa beim Lampen-Montieren. „Wir haben keine Dübel gebraucht, und das Holz hat gleich gegriffen.“ In der Augsburger Altbauwohnung war das Paar anderes gewohnt: „Uns ist dort einmal die Garderobe entgegengeflogen, weil die Dübel nicht gehalten haben“, erinnert sie sich und lacht. Mit bröseligem Putz werden sich Vanessa und Nico Hanzel so schnell nicht mehr herumschlagen müssen.

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