Benedikt wehrt sich

von Redaktion

Stellungnahme des emeritierten Papstes empört Missbrauchsopfer

VON CLAUDIA MÖLLERS

München/Vatikanstadt – Der Brief von Benedikt XVI. kam überraschend. Um Punkt 13 Uhr gestern wurden das gut zweiseitige Schreiben samt dreiseitigem „Faktencheck“ – sogar auf Arabisch – zum Missbrauchsgutachten des Münchner Erzbistums veröffentlicht. 19 Tage, nachdem das Gutachten die katholische Kirche in den Grundfesten erschüttert hat, in dem in Antworten des früheren Münchner Kardinals Joseph Ratzinger auf die Fragen der Gutachter Fehler festgestellt worden waren.

Im Kern geht es nach wie vor um die Frage, ob Kardinal Ratzinger von den Missbrauchsvorwürfen gegen den aus dem Bistum Essen stammenden Pfarrer Peter H. wusste, als dieser im Münchner Erzbistum in der Seelsorge eingesetzt wurde. „Das Gutachten enthält keinen Beweis für einen Vorwurf des Fehlverhaltens oder der Mithilfe bei einer Vertuschung“, heißt es kategorisch im Faktencheck: „Als Erzbischof war Kardinal Ratzinger nicht an einer Vertuschung von Missbrauchstaten beteiligt.“

Benedikt schreibt in seinem Brief an die „lieben Schwestern und Brüder“ von tiefer Scham und der aufrichtigen Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs (siehe Kasten). Doch schon der Aufbau des Briefes lässt Betroffene daran zweifeln, dass der emeritierte Papst bereit ist, persönlich Verantwortung zu übernehmen. Der bald 95-Jährige beginnt nämlich mit einem ausführlichen Dank über die vielen Zeichen des Vertrauens, der Ermutigung und der Freundschaft, die er in letzter Zeit habe erfahren können. Ausdrücklich dankt er der „kleinen Gruppe von Freunden“, die für ihn die 82-seitige Stellungnahme für die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl verfasst habe. Das sind drei Kirchenrechtler und ein Anwalt für Äußerungsrecht der Kölner Kanzlei Höcker. Allein, so betont er, hätte er die Stellungnahme nicht schreiben können. Angesichts von 8000 Seiten Aktendokumentation und fast 2000 Seiten Gutachten ist das sicher nachzuvollziehen.

Doch diesen Beratern, so führt Benedikt aus, sei ein Versehen unterlaufen. Und zwar – wie im Faktencheck namentlich genannt – von dem Kirchenrechtler Dr. Stefan Korta. Dabei sollte sich Korta besonders gut auskennen in den Unterlagen. War er doch engster Mitarbeiter von Prälat Lorenz Wolf im Offizialat, dem Münchner Kirchengericht, und später als Ressortleiter im Ordinariat auch fürs Kirchenrecht zuständig.

Ausgerechnet diesem Mann, der jetzt eine Kanzlei für Kirchenrecht betreibt, ist laut Benedikt ein „unbemerkter Übertragungsfehler“ unterlaufen. Er habe irrtümlich festgehalten, dass Joseph Ratzinger an der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 abwesend war. Benedikt XVI. habe diesen Fehler aufgrund des hohen Zeitdrucks nicht erkannt. Im Gutachten war dann belegt worden, dass Kardinal Ratzinger sehr wohl an fraglicher Sitzung teilgenommen hatte. Die daraus folgenden Vorwürfe, mit denen Benedikt seither konfrontiert wird, weist der frühere Papst nicht nur energisch zurück, er zeigt sich auch tief verletzt. „Daß das Versehen ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen, hat mich tief getroffen.“ Um gleich daran anzufügen, dass ihn die „vielfältigen Stimmen des Vertrauens“ und berührenden Briefe der Ermutigung von „sehr vielen Menschen“ bewegt hätten. Ausdrücklich erwähnt er die persönliche Unterstützung durch Papst Franziskus. Zum allgemeinen Bekenntnis der Schuld ringt sich Benedikt durch. Aber er fügt auch hinzu: „Wie groß auch immer meine Schuld heute ist, der Herr vergibt mir, wenn ich mich ehrlich von ihm durchschauen lasse und so wirklich zur Änderung meiner selbst bereit bin“. Benedikt schließt mit den Worten, dass er bald vor dem „endgültigen Richter meines Lebens“ stehen werde. Auch wenn er beim Rückblick auf sein langes Leben viel Grund zum Erschrecken und zur Angst habe, „bin ich doch frohen Mutes“: Er könne vertrauen auf den Herrn als gerechten Richter, der auch sein Freund und Anwalt sei.

Präventionsexperte Pater Hans Zollner sieht im Brief des emeritierten Papstes ein Spiegelbild für dessen Umgang mit dem Thema Missbrauch. „Ich stelle fest, dass er sich zunächst bei seinen Freunden bedankt und dann erst die Betroffenen kommen“, sagte Zollner in Rom. Benedikt spanne einen großen theologischen Rahmen, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Zollner ist externer Berater in der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen.

Richard Kick, Missbrauchsopfer aus Eichenau (Kreis Fürstenfeldbruck), indes ringt um Worte. „Das kann doch nicht wahr sein“, ruft er, nachdem er das Schreiben gelesen hat. Er ist entsetzt darüber, dass Benedikt die Betroffenen, die schlimmen Taten und die systemischen Ursachen der Vertuschung so wenig im Blick habe. „Mir fehlen die Worte angesichts dieser Selbstbeweihräucherung.“ Benedikt schreibe vor allem über seine Betroffenheit darüber, dass man ihm eine Lüge unterstelle. Das Schreiben sei „ein Hohn in den Ohren der Betroffenen“. Selbst wenn Benedikt im Detail keine Kenntnisse über die Vorgeschichte von Pfarrer H. und andere Fälle gehabt haben sollte, „er trägt als Erzbischof letztlich die Verantwortung“. Zudem hätte er sich später als Präfekt der Glaubenskongregation oder als Papst um die Fälle kümmern können. „Es wäre besser gewesen, wenn er nach der 82-seitigen Stellungnahme geschwiegen hätte.“ Den Betroffenen sei nun klar, dass sie auf sich selbst gestellt seien. Sie wollen nun an die Adressaten in den nächsten Wochen „klare Forderungen“ stellen.

Zu den Adressaten wird auch Kardinal Reinhard Marx gehören. Er begrüßte am Nachmittag das Schreiben Benedikts. Und fügte hinzu, dass er als Kardinal das Gutachten, in dem es auch um persönliche und institutionelle Verantwortung gehe, sehr ernst nehme. Worte, die sich in Benedikts Brief nicht finden. Die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ betont denn auch: „Ratzinger sieht sich selbst immer noch als Opfer, das in übergroße Schuld hineingezogen wurde.“

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